Urbanes Gärtnern in München
Urbanes Gärtnern in München. ©Green City e.V.

Urbaner oder städtischer Gartenbau, Urbanes Gärtnern oder auch Urban Gardening sind Begriffe, die immer wieder in den Medien auftauchen. Um was es sich dabei genau handelt und welche Möglichkeiten sie eröffnen, fragte ahabc.de Irene Nitsch, die beim Verein Green City e.V. in München für Urbanes Gärtnern unter dem Motto „Mehr Umweltschutz für München zuständig“ ist.

Urban Gardening – Was bedeutet das?

Irene Nitsch: Das Urban Gardening Manifest startet mit dem Satz: die Stadt ist unser Garten. Somit ist jede Form des Gärtnerns in der Stadt ein Beitrag zur Stadtgestaltung. Seien es die Gestaltung und Pflege öffentlicher Grünanlagen durch die kommunale Stadtgärtnerei, Fassaden- und Dachbegrünung durch Bauträger und Eigentümergemeinschaften, der private Gemüseanbau in Hochbeeten, die Diversifizierung des Straßenbegleitgrüns, die Nutzung von Brachflächen für Gemeinschaftsgärten. Ziel aller Gärtner- und Begrünungsaktionen in der Stadt ist es, eine lebenswerte Stadt zu schaffen. Green City e.V. sowie die Gemeinschaftsgarten-Projekte „Giesinger Grünspitz“ und „München wird essbar“ sind Unterzeichner des Urban Gardening Manifest.

Kommunen wie München schaffen mit öffentlichen Grünanlagen Naherholungsflächen und bieten zudem über Programme wie „Krautgärten“ den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, innerhalb des Stadtgebietes kleine Gemüseäcker anzulegen. Durch diverse Bauvorschriften, Förderprogramme und Gestattungen unterstützen Kommunen die Begrünung der Stadt. Während Fassaden- und Dachbegrünungen den Fokus auf die Verbesserung des Stadtklimas legen, tragen „Grünpaten“, die Baumscheiben mit Blumen und Stauden bepflanzen, oder Straßenbegleitgrün durch Bienenweiden ersetzen, zu Erhalt und Förderung der Biodiversität in der Stadt bei.

In vielen Städten entstehen seit einigen Jahren neue gemeinschaftliche Gartenformen. In München haben sich Gemeinschaftsgärten, Bewohnergärten, Krautgärten, Kleingärten, pädagogische Gärten, Therapeutische Gärten und Mietergärten mit weiteren gärtnerischen Akteuren wie z. B. den Grünpaten, der kommunalen Grünwerkstatt und den Stadtimkern über die Plattform www.urbane-gaerten-muenchen.de vernetzt. Urbane Gemeinschaftsgärten sind Experimentierräume für ein gutes Leben in der Stadt. Gemeinsam verwandeln Stadtgärtnerinnen und Stadtgärtner Brachflächen in Orte der Begegnung, gewinnen eignes Saatgut, halten Bienen zwischen und auf Hochhäusern, experimentieren mit verschiedenen Formen der Kompostierung und üben sich darin, das geerntete Gemüse haltbar zu machen. Urbane Gemeinschaftsgärten setzen sich für eine lebenswerte Stadt und eine zukunftsorientiere Urbanität ein.

In dem, im Rahmen der Sozialen Stadt München geförderten Projekt Giesinger Grünspitz erfahren wir täglich, wie wichtig ein frei zugänglicher öffentlicher Raum ohne Konsumzwang für eine demokratische und multikulturelle Stadtgesellschaft ist. Nach dem Auszug eines Gebrauchtwagen-Marktes entwickelte sich auf der verkehrsumtosten Fläche mit altem Kastanienbestand innerhalb von drei Jahren aus einem kleinen Gemeinschaftsgarten mit acht Hochbeeten ein Open-Air Wohnzimmer für die Anwohnerinnen und Anwohner mit vielfältigen Veranstaltungen und Festen. Gemeinschaftsgärten sind Keimzellen. Gärtnern erfordert Kontinuität und die Übernahme von Verantwortung. Gemeinsames Gärtnern bietet die Möglichkeit, Nachbarn kennen zu lernen, sich auszutauschen und die Stärken und Fähigkeiten der Anderen kennen und schätzen zu lernen. Gemeinschaftsgärten fördern Kommunikation und Integration. Durch die kurzfristigen Erfolgserlebnisse werden Bürger motiviert, sich verstärkt in die Stadtgestaltung einzubringen.

Was ist erlaubt?

Irene Nitsch: Erlaubt ist, was andere nicht gefährdet oder behindert und den kommunalen Richtlinien und Vorgaben entspricht. Urbane Gemeinschaftsgärten sind in der Regel für alle Interessierten offen und verstehen sich als Experimentierräume für ein gutes Leben in der Stadt.

Welche Möglichkeiten gibt es für Bürgerinnen und Bürger?

Irene Nitsch: Wer einen Balkon hat, kann Blumenkästen mit Radieschen, Pflücksalaten, Kräutern und Bienenweide bepflanzen. Im Hinterhof kann die Hausgemeinschaft in Hochbeeten oder Kübeln gärtnern. Interessierte können sich einem der Gemeinschaftsgärten anschließen oder als Grünpaten das Straßenbegleitgrün diversifizieren. Ambitionierte Gemüsegärtner pachten sich eine Parzelle in einem Krautgarten oder einer Kleingartenanlage. Engagierte Gruppen machen sich auf die Suche nach Brachflächen, die, im Rahmen einer Zwischennutzung, temporär für einen mobilen Gemeinschaftsgarten genutzt werden können.  Oder sie fragen, z. B. über einen Stadtrat bei der Kommune an, ob es die Möglichkeit gibt, eine Fläche für das Gemüsegärtnern in öffentlichen Grünanlagen zur Verfügung zu stellen. Schüler haben die Möglichkeit, im Rahmen der Grünen Schule im oder vor dem Schulgelände zu gärtnern. Ideen gibt es viele: Der Stadtteil Menzing feiert 2017 sein 1200-jähriges Jubiläum. Aus diesem Anlass starten Bürgerinnen und Bürger, Vereine und bürgerschaftliche Einrichtungen die Aktion „1200 Quadratmeter mehr Grün für Menzing“. Gemeinsam sollen so im Aktionsjahr Fassaden, Garagendächer und Gartenmauern begrünt werden. Gemäß dem Motto von Green City e.V.  „Wir machen es einfach“.

Ist Urban Gardening auf bestimmte Straßenzüge oder Flächen beschränkt?

Irene Nitsch: Nein, denn Urban Gardening experimentiert und gibt Anstöße für ein nachhaltiges und zukunftsorientiertes Leben in der Stadt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Wanderbaum-Allee . Für jeweils sechs Wochen werden ca. 20 Bäume in einer baumlosen, versiegelten Straße aufgestellt und von Anwohnern, den sogenannten Baumpaten, gegossen. Durch die Bäume entstehen neue Perspektiven, eine neue Anmutung der Straße. Nach sechs Wochen werden die Bäume in einer feierlichen Parade durch für den Autoverkehr gesperrte Stassen zum nächsten Einsatzort gezogen. Vorbei an staunenden Anwohnern, die meist das erste Mal  eine Prozession von Baumkronen vor den Fenstern im ersten Stock vorbei ziehen sehen. Nach sechs Wochen haben sich viele Bürger an die Bäume gewöhnt und stellen beim Bezirksausschuss den Antrag auf dauerhafte Pflanzung.

Böden auf Freiflächen in der Stadt können mit Schadstoffen aus Industrie und Verkehr belastet sein. Ist da Vorsicht geboten?

Irene Nitsch: Für das Gemüsegärtnern in der Stadt bieten sich Hochbeete an. Das erforderliche Substrat kommt aus kommunalen Kompostieranlagen, in denen Bioabfälle und Laub keim- und schädlingsfrei verrottet werden. Bei Gemüse oder essbaren Blüten ist auch auf die Feinstaubbelastung zu achten. Daher sollten Kräuter nicht entlang der Straße angepflanzt werden. Es ist wichtig, dass Beete mit Nutzpflanzen einen ausreichenden Abstand zu Abgasquellen haben (ca. sieben Meter) und sie sollten zudem durch eine physische Barriere von mindestens drei Metern Höhe von ihr getrennt sein.

Denken Sie, dass Urban Gardening bei den Akteuren auch ein Bewusstsein für die Umwelt allgemein und den Boden bewirkt? Oder zählt lediglich der Erfolg des „Grünen Daumens“?

Irene Nitsch: Urban Gardening ist gemeinschaftsbildend und stärkt das Bewusstsein dafür, welchen Wert Bioprodukte darstellen. Und dafür, dass diese nachhaltig nur dann geerntet werden können, wenn das Bodenleben aktiviert wird und Insekten die Bestäubung übernehmen. Durch das Gärtnern wird Wissen über Bodenleben, Alternativen zu Torf und Mineraldünger aufgebaut  sowie die Bedeutung von Nützlingen und samenfesten Sorten neu entdeckt.

Ist Urban Gardening nach Ihrer Meinung lediglich ein aktueller Trend, eine lapidare Modeerscheinung in bestimmten Kreisen oder eine langfristige Perspektive für viele Bürgerinnen und Bürger, um unsere Städte mit privatem Engagement grüner zu gestalten?

Irene Nitsch: Je stärker die Städte wachsen, desto länger werden die Wege auf das Land zu den Erzeugern von Lebensmitteln. Die Städter werden somit einerseits immer abhängiger von einer funktionierenden Transportinfrastruktur, andererseits verlieren sie den unmittelbaren Kontakt zu Landwirtschaft und Gartenbau. Der Wunsch nach physischer Betätigung im Freien sowie Entspannung im Grünen wird immer häufiger als Motivation für das Urbane Gärtnern angegeben. Zudem ist Urban Gardening  auch eine Klimaschutzmaßnahme und hat daher eine längerfristige Perspektive.

Ahabc.de dankt Frau Nitsch für die informativen und ausführlichen Antworten und wünscht ihr auch weiterhin viel Erfolg mit dem „Grünen Daumen“.