Regenwurm
Der Anblick eines Regenwurms sollte jeden Gartenbesitzer erfreuen. Denn der Wurm ist ein Indikator für guten Boden. ©Alexander Stahr

Regenwürmer (Lumbriciden) gehören zusammen mit den Egeln zur Ordnung der Wenigborster (Oligochaeta). Sie gehören innerhalb des Stammes der Ringelwürmer (Annelida) zur Klasse der Gürtelwürmer (Clitellata). Das die Klasse kennzeichnende Citellum ist eine drüsige hervorgewölbte Umbildung der Haut in einem bestimmten Segment an der Körperoberfläche. Das Sekret dieser Drüsen dient zur Bildung des Eikokons. Im nördlichen Mitteleuropa sind ungefähr 40 von 240 Arten nachgewiesen. Der Regenwurm (Lumbricus terrestris) ist der häufigste und größte der einheimischen Regenwürmer.

Körperbau

Regenwürmer sind langgestreckte, drehrunde Würmer mit deutlich äußerer und innerer Segmentierung. Auf den ersten Blick ist nicht gleich festzustellen, wo vorn oder hinten oder oben und unten ist. Sieht man genau hin ist zu erkennen, dass das Vorderende leicht zugespitzt und das Körperende eher abgerundet und etwas verbreitert ist. Die vordere Hälfte des Körpers ist eher zylindrisch, die hintere flacht zunehmend ab. Pigmente sind in der Muskelschicht eingelagert. Je nach Art sind die Regenwürmer bräunlich bis rötlich gefärbt.

Anatomie des Lumbricus terrestris

Besonders gut untersucht und beschrieben ist der Körperbau des Lumbricus terrestris. Er gehört zu den Tieren an denen die Studenten im zoologischen Praktikum anhand von Präparationen die Tierstämme kennen lernen. Das anatomische Wissen verdanken wir dem Zoologen Dr. Willy Georg Kükenthal. Er sammelte Material und veröffentlichte 1998 als Professor der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau auf den Lehrstuhl für Zoologie und vergleichender Anatomie den Leitfaden für das Zoologische Praktikum, der bis zur heutigen Zeit fortgeschrieben wird und immer noch das Standardwerk für die Studenten ist. Die sechste überarbeitet Auflage von 1912 ist heute noch in Archive.org einzusehen.

Lumbricus terrestris
Lumbricus terrestris. Bauchansicht des vorderen Körperabschnitts.
Unten: Borstenstellung im Querschnitt;
Abbildung aus dem Leitfaden für das Zoologische Praktikum von W. Kükenthal, M. Renner 18. Auflage VEB Fischer Verlag Jena 1980

Der Körper des Lumbricus terrestris ist in ganzer Länge segmentiert. Die Anzahl der Segmente nimmt im Alter zu. Die Wachstumszone liegt nahe am Hinterende. Die vorderen Segmente sind länger als die übrigen. Auf dem Rücken sieht man deutlich das etwas geschlängelte Rückengefäß durch die Haut schimmern. Das Vorderende wird von einem Kopflappen (Prostomium) eingenommen. Auf der Bauchseite befindet sich hier die Mundöffnung. Bei geschlechtsreifen Tieren sieht man von Februar bis August sehr deutlich im vorderen Körperabschnitt eine hellere auffallend sattelförmige Verdickung, das Clitellum. Es umfasst die Segmente 32 bis 37. Die Hautdrüsen des Citellums produzieren ein Sekret, das bei der gegenseitigen Begattung und Eiablage von Bedeutung ist. Die Geschlechtsöffnungen liegen seitlich an der Bauchfläche: Die weiblichen am 14. und die männlichen am 15. Segment. Die männlichen Öffnungen werden von Querwülsten eingerahmt, die weiblichen sind sehr fein und daher schwerer erkennbar. Vom Außenrand der männlichen Geschlechtsöffnungen führt eine Rinne (Samenrinne) bis zum Clitellum. Sie dient dem Transport des Spermas. Regenwürmer besitzen kein Skelett. Der Körper wird durch einen Hautmuskelschlauch gestützt.

Fortbewegung

Beim Kriechen streckt sich zunächst die vordere Körperregion lang aus. Gleich darauf folgt eine von vorn nach hinten verlaufende Kontraktionswelle der Muskulatur, die den Körper nach vorn zieht. Unmittelbar anschließend streckt sich der Vorderkörper erneut aus und es folgt eine weitere Kontraktionswelle. Borsten auf der Bauchseite, die nach hinten gerichtet sind, verhindern, dass bei der Kontraktion der Vorderkörper nach hinten gezogen wird. Die außerordentliche Beweglichkeit der Muskulatur und der vielen Borsten ermöglicht dem Regenwurm das Kriechen in Gängen.

Atmung

Regenwürmer nehmen Sauerstoff über die Haut auf. Die Haut wird ständig durch Ausscheidungen der Schleimzellen feucht gehalten. Im diesem Schleimfilm kann sich Sauerstoff lösen, die Haut durchdingen und in die unter der Haut liegenden Blutgefäße gelangen. Einige Arten wie auch z. B. Lumbricus terrestris haben dazu stark durchblutete Hautpartien. Bei großen Regenwurmarten wird die Atmung durch das Vorhandensein von Hämoglobin unterstützt.

Entwicklung

Regenwürmer sind Zwitter. Die Fortpflanzung beginnt mit dem Samenaustausch (Kopulation). Die Kopulation kann mehrmals oder einmal im Jahr erfolgen. Einige Arten bilden Spermatophoren und heften sich diese gegenseitig an. Die Eier (1 bis 20) werden in einen Kokon gelegt. Hier schlüpft meist nur eine Larve. Die Entwicklungszeit ist je nach Art unterschiedlich. Die kürzeste Entwicklungszeit hat der Mistwurm Eisenia foetida. Bei optimaler Haltung im Mist schlüpfen die Jungtiere drei Wochen nach der Kokonablage. Nach weiteren 9 Wochen sind sie geschlechtsreif. Je Jahr und Tier hat der Mistwurm die höchste Anzahl von Kokons von den heimischen Regenwurmarten. Hinzukommt, dass bei dieser Art auch 2 bis 3 Larven pro Kokon schlüpfen. So weist der Mistwurm eine Nachkommenschaft von 350 Tieren in einer Generation auf, während bei anderen Arten (z. B. Gattung Lumbricus) diese Zahl zwischen 20 und 60 liegt. Mit der Geschlechtsreife ist die Größen- und Gewichtszunahme abgeschlossen.

Lebensweise

Das ökologische Verhalten der Regenwürmer ist sehr vielfältig. Man kann ungefähr 3 Lebensformtypen unterscheiden. Streuformen halten sich in der Humusauflage der Böden oder anderer Anhäufungen organischer Substanzen auf. Tiefgräber fressen nur an der Bodenoberfläche. Sie graben jedoch tiefe Gänge. Mineralbodenformen beschränken sich auf flache Gangsysteme (bis 30 cm maximal 50 cm Tiefe). Zwischen den Grundtypen gibt es einige auch Formen mit gleitenden Übergängen oder Sonderformen.

Lebensform / Merkmal Streuform Tiefgräber Mineralbodenform
Größe Klein, 10-30 mm oft groß, 200 bis 450 mm klein bis groß, 150 mm
Pigment einheitlich bräunlich bis rot dunkel, schwärzlich bis rotbraun ohne Pigment
Grabmuskulatur verkümmert stark entwickelt entwickelt
Hautbefeuchtung Schleimhülle starke Schleimhülle wenig ausgeprägt
Nahrungsaufnahme kleine organische Teilchen an der Oberfläche große organische Objekte an der Oberfläche Mineralboden und organische Teilchen im Boden
Atmung intensiv mittel schwach
Lichtscheu schwach mäßig stark
Reproduktion stark mittel schwach
Darmpassage langsam variabel schnell
Lebensdauer kurz lang mittel
Gefährdung durch Räuber sehr groß geringer: Rückzugsmöglichkeit in Gänge schwach
Lebensraum Streu, Mist, Humusauflage, Rinde Gänge bis 6 m Tiefe Mineralboden, obere Wurzelzone
Häufige mitteleuropäische Arten Lumbricus castaneus, Lumbricus rubellus Dendrobaena ubida, Eisenia foetida Lumbricus terrestris, Allolobophora longa, Dendrobaena platyura Allolobophora icterica, Allolobophora chlorotica, Octolasium lacteum

Tabelle Lebensformentypen der Regenwürmer als PDF-Download.

Das Überdauern ungünstiger Lebensbedingungen ist den Regenwürmern auf unterschiedlichen Wegen möglich. Sie können geschützt durch den Kokon Kälte in einem Eisstadium überstehen. Bei Eintritt ungünstiger Witterung fallen sie meist in größerer Tiefe in ein Ruhestadium. Von den Tiefgräbern sind zeitweilige Entwicklungsunterbrechungen mit drastischen Einschränkungen des Energie- und Stoffbedarfs bei ungünstigen Klimaverhältnissen (Diapause) bekannt.

Nahrung und Verdauung

Die Nahrung der Regenwürmer besteht vorwiegend aus abgestorbenen organischen Stoffen und Mikroorganismen. Nur selten fressen sie grüne Pflanzenteile an der Bodenoberfläche. Die Tiefgräber ziehen nachts Streuteile von der Bodenoberfläche in ihre Gänge. Sie verlassen dabei Ihre Röhre nicht ganz, sondern sichern sich mit dem Hinterende im Eingang ab. In Waldböden lässt sich beobachten, wie Lumbricus terrestris Laubblätter mit dem Stiel nach unten in die Gänge zieht. Während des Einziehens saugt sich der Wurm am Blatt fest. Dabei gibt er ein Sekret aus den Schlunddrüsen ab, das das Blatt nicht nur befeuchtet sondern auch eine Amylase enthält, die den Rotteprozess also die Zersetzung durch Pilze und Bakterien fördert. Oft werden die Blätter längere Zeit so belassen. Der Regenwurm wartet also darauf, dass die Nahrung gar wird, bevor er ein Gewebestück verspeist.

Mit saugenden und pumpenden Bewegungen des Mundes wird die Nahrung verspeist. Dabei gelangen Pilze, Bakterien und andere kleine Erdpartikel mit in den Verdauungstrakt. Dort findet zwar weitgehend ein Abbau des verspeisten Blattes statt, doch aus verschiedenen organischen Zwischen- und Endprodukten bilden sich auch neue, kompliziert aufgebaute organische Stoffe: die so genannten Huminstoffe. Mit den Erdpartikeln nahm der Wurm auch plättchenartige Tonminerale auf. Sie haben überschüssige Ladungen, die außerhalb des Wurmdarmes dadurch ausgeglichen werden, indem elektrisch geladene Teilchen aus dem Bodenwasser, also Ionen (von griechisch “ionos” = Wanderer), angelagert werden. Zum Beispiel Wasser-Ionen, Nährstoff-Ionen oder organische Substanzen.

Regenwurmkot ist gut für den Boden

Durch den Verdauungsvorgang werden Tonteilchen, Huminstoffe und andere organische Teilchen fest mit einander vermengt. Es entstehen so genannte Ton-Humus-Komplexe oder eleganter gesagt: organo-mineralische Komplexe. Schließlich scheidet der Wurm Kot aus, der die wertvollen Ton-Humus-Komplexe in angereicherter Form enthält. Diese Verbindungen aus Ton- und Humusteilchen können sehr gut Wasser anlagern und wertvolle Nährstoffe tauschen.

Der erste Forscher, der die positive Wechselbeziehung zwischen Regenwümern und dem Boden erkannte war Darwin. In seinem Werk mit dem Titel „Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer“ beschieb er schon 1881 die Nützlichkeit der Regenwürmer für den Ackerboden. Diese waren vorher eher als Schädlinge eingestuft.

Entsprechend ihrer Ernährung produzieren Tiefgräber oder nichtgrabende Streuformen stark humose eher schwach mineralische Kotballen. Mineralbodenformen aber auch Tiefgräber nehmen beim Graben die gesamten Bodensubstanzen auf und verdauen die organischen Anteile und Mikroorganismen. Diese Kotballen sind dementsprechend mineralhaltiger.

Bestimmung von Regenwürmern im Freien

Die Färbung des Tieres ist rotviolett, besonders vorne; hinten blaß, das rote Rückengefäß schimmert deutlich durch- oder dunkle und helle Ringel wechseln sich ab. Ja: weiter bei 1
Nein: weiter
Färbung anders: grau, gelblich bis bräunlich, auch bläulich oder pigmentlos (Blutgefäße schimmern rötlich durch) Ja: weiter mit 3
Kopf- und Borstenformen
Kopfform von Regenwürmern: epilob oder tanylob Borstenanordung: paarig oder unpaarig
1 Kleine gedrungene Arten (die einheimischen nicht über 60 mm); Borsten nicht eng; in der Regel nicht in Äckern Ja: Dendrobaena
Nein: weiter
Größere Arten, Borsten eng paarweise stehend Ja: weiter mit 2
2 Körper auffällig rötlich-bräunlich und hellgelblich geringelt, Schleimabsonderung intensiv gelb, Kopf epilob (siehe Bild) Ja: Mistwurm- Eisenia foetida
Nein: weiter
Körper nicht mit farbigen Ringeln, Schleim farblos, Hinterende des Körpers deutlich abgeplattet und weniger stark pigmentiert, Kopf tanylob (siehe Bild) Ja: Lumbricus
3 Borsten eng paarweise stehend (siehe Bild); Färbung grau oder bräunlich, in verschiedenen Schattierungen, auch pigmentlos; am Vorderkörper teilweise mit sehr schmalem gelben Ring; mittelgroße bis große Tiere. Ja: Allolobophora
Nein: weiter
Borsten nicht eng paarweise stehend; Färbung bräunlich, gelbbraun bis grau (Octolasium lacteum) oder bläulich (O. cyaneum), Schwanzspitze gelb Ja: Octolasium

Bestimmungschlüssel von Regenwürmern im Freien als PDf-Download.

Für Schulen

Die Bodenwerkstatt der Universität Münster liefert für Schulen umfangreiche Materialien auch für Schulprojekte zum Thema Regenwurm.


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