Tausendfüßer
Vielfüßer (Myriapoden), auch Tausendfüßer genannt, sind ein Unterstamm der Gliederfüßer (Arthropoda). Sie haben mit der Unterklasse der Hundertfüßer (Chilopoda), Doppelfüßer (Diplopoda), Zwergfüßer (Symphyla) und Wenigfüßer (Pauropoda) eine wichtige bodenbiologische Bedeutung, da sie wichtige Streuzersetzer sind und ihr Kot zu einem stabilen Krümelgefüge beiträgt.
Tausendfüßer besitzen einen schmalen langgestreckten Körper mit meist gleichförmigen Körperringen mit einer meist zwei- oder manchmal auch dreistelligen Anzahl an Beinen. Mit Tausendfüßer werden in der Regel die pflanzenfressenden Arten der Doppelfüßer (Diplopoda) bezeichnet, die mit ca. 10.000 Arten den Großteil der Gruppe darstellen. Sie haben pro Segment zwei Beinpaare. Oft findet eine Verwechslung mit den Hundertfüßern (Chilopda) statt, die an ihrem Körpersegment jeweils nur ein Beinpaar besitzen und auch zur Gruppe der Vielfüßer gehören.
Bei erwachsenen Diplopoden tragen die ersten drei Ringe je nur ein Beinpaar. Alle nachfolgenden Segmente besitzen 2 Beinpaare. Nur frischgeschlüpfte Larven weichen davon ab. Sie besitzen anfänglich drei Beinpaare. Die Gesamtzahl der Beinpaare schwankt je nach Art zwischen 13 und 250.
Körperbau
Der Körper der Tausendfüßer ist in zwei Abschnitte gegliedert: Kopf und Rumpf. Der Kopf besteht aus mehreren miteinander verschmolzenen Segmenten. Ihm folgt ein gleichartig gegliederter Rumpf.
Der Kopf besitzt ein Paar Antennen und zwei oder drei Paar Mundwerkzeuge. Die Mundwerkzeuge dienen zur Aufnahme toter pflanzlicher Substanzen oder kleiner Mikroorganismen. Nur in Ausnahmefällen werden lebende Pflanzen oder Aas gefressen. Der Bau der Mundwerkzeuge ist charakteristisch für die Tausendfüßer. Die Mundwerkzeuge (Mandibeln) sind in zwei gegeneinander bewegliche Abschnitte geteilt. An der Beweglichkeit der Mandibeln ist eine am Kopf sitzende Skelettmuskulatur beteiligt, das Tentorium. Dieses schwingend bewegliche Tentorium kommt bei keiner anderen Arthropodengruppe vor.
Bei vielen Chilopoda und Diplopoda sind die Augen ausgebildet. Andere Unterklassen wie die Zwergfüßer und Wenigfüßer sind augenlos und daher blind.
Der Rumpf mit den zahlreichen Segmenten und Beinpaaren ist das auffallendste Merkmal der Tausendfüßer. Im Prinzip trägt jedes Rumpfsegment jeweils ein Beinpaar. Das erste und letzte Segment weichen allerdings von dieser Regel ab. So trägt das erste mit dem Kopf verwachsene Segment bei den Hundertfüßern Maxillipeden, die Giftklauen besitzen. Bei vielen anderen Arten trägt das erste Segment keine oder reduzierte Beinpaare. Am Körperende haben die ein oder zwei Segmente gar keine Beinpaare.
Die Beine befinden sich entweder auf der Bauchseite (Doppelfüßer) oder seitlich (Hundertfüßer) des Rumpfes. Die Beine sind in sechs oder sieben Segmente gegliedert. Einige Tausendfüßer- Arten haben eine große Anzahl von Beinen. Die meisten Beine wurden bei der Art Illacme plenipes gezählt, es waren 750. Demnach gibt es den wortwörtlichen Tausendfüßer gar nicht.
Bis auf eine Ausnahme sind Tausendfüßer außerordentlich gut gepanzert. Der Panzer bietet Schutz und Stabilität beim Durchwühlen des Bodens. Es schützt auch vor Austrocknung und vor Feinden. Größere Tiere geben zusätzlich zur Abwehr ein außerordentlich stark riechendes, giftiges (zum Teil blausäurehaltiges) Sekret ab. Es wird seitlich durch die Drüsenkanäle der Segmente abgegeben.
Die Geschlechtsöffnung liegt im Vorderkörper. Die Männchen haben zur Übertragung des Spermas umgebildete Beinpaare. Diese sogenannten Gonopoden sind meist am 7. Ring zu finden. Sie sind oft das einzige verlässliche Bestimmungsmerkmal. Tausendfüßer sind geographisch häufig auf sehr kleinem Raum beschränkt. Ihre oft erhebliche Anzahl bei einheimischen Arten im Boden sowie ihre Körpergröße von 20 bis 45 mm machen sie bodenbiologisch zu den wesentlichen Tieren.
Aufgrund ihrer Lebensweise im Boden werden die folgenden Typen unterschieden (Fotos von Tausendfüßern finden Sie hier):
Rammtyp Juliden (Julida) |
Dieser Typ ist in Mitteleuropa am häufigsten. Der Körper ist kreisrund und sehr langgestreckt. Die heimische Art Ommatoiulus sabulosus wird bis zu 47 mm lang und trägt bis zu 101 Beinpaare. Die Juliden leben vorwiegend in den obersten Schichten des Bodens. Ihr Kopf und das erste Nacken-Segment sind sehr kräftig entwickelt und dienen als Rammbock. Bei festem Boden werden auch Bodenpartikel mit den Mundwerkzeugen aufgenommen. Beim Anlegen von Gängen können sie sich wie Regenwürmer durch den Boden arbeiten. |
Kugeltyp Saftkugler |
Die Tiere dieses Typs gleichen äußerlich den Rollasseln und werden auch oft mit ihnen verwechselt. Auch sie können sich zu einer vollkommenden Kugel einrollen. Möglich ist dies, weil die Brust (Sternite) und Seitenplatten (Pleurite) nicht mit den Rückenplatten (Tergiten) verwachsen sind. Die Zahl der Beinpaare beträgt 19 beim Männchen und 17 beim Weibchen. Die Kugeldiplopoden graben sich wie die Juliden an der Bodenoberfläche in den Boden. In Mitteleuropa treten vor allen Arten der Gattung Glomeris auf. Sie werden auch als Saftkugler bezeichnet, da sie sich bei Gefahr einrollen und aus den Wehrdrüsen ein Sekret ausscheiden. |
Bohrtyp | Tausendfüßer des Bohrtyps sind aufgrund der freien Beweglichkeit ihrer Brust zu einer bohrenden Grabwirkung in der Lage. Ist der fordere Körperring verankert wird der nächste Ring nachgezogen und der der vordere Ring dabei automatisch erweitert. Damit erweitert sich auch die Bodenspalte. Charakteristisch ist der Bohrtyp für die Südhalbkugel. In Europa häufiger, wenn auch nicht so ausgeprägt Bohrtyp, sind die Craspedosomatida. Hierzu gehören 800 Arten. Wegen ihrer Spinndrüsen am Körperende werden sie auch als Nematophora bezeichnet. Sie besitzen am Rücken Seitenkiele und leiten hierdurch zum Keiltyp über. |
Keiltyp | Charakteristisch für diesen Typ sind die breiten Seitenkiele, die den Rücken verbreitern. Halsschild und Kopf sind oft extrem klein. Dadurch verjüngt sich der Köper nach vorn auffällig. In Zentraleuropa sind 9 Gattungen der Polydesmida vertreten. Die Tiere leben an der Bodenoberfläche zwischen Bestandsabfall. Ihr Köper erlaubt es ihnen, sich wie ein Keil zwischen Laub und Streu zu schieben. Wie die Juliden haben sie völlig verwachsene Körperringe. |
Rindenbewohner | Fast alle Diplopodengruppen sind auch unter Rinde oder Holz zu finden. Nur wenige Arten leben fast ausschließlich in diesem Lebensraum. In Mitteleuropa gehören die kleinen Arten der Pinselfüßer dazu. |
Hundertfüßer
Zur typischen Makrofauna des Bodens in Deutschland gehören die Hundertfüßer. Sie sind mit ca. 50 Arten vertreten und leben räuberisch. Sie ernähren sich überwiegend von kleinen weichhäutigen Tieren. Daher stehen z. B. Enchyträen, Springschwänzen aber auch kleinere Regenwürmer auf ihrem Speisezettel. Zum Fangen der Beute nutzen sie ihre Fangklauen (Maxillipeden). Das sind die umgestalteten ersten Laufbeinpaare, an deren Spitze Giftdrüsen münden. Hundertfüßer lieben feuchte, humusreiche und wenig verdichtete Böden. In 300 m² findet man durchschnittlich 50 Tiere.
In unseren Breitengraden leben 2 Unterordnungen die Steinkriecher (Lithobiidae) und die Erdläufer (Geophilidae). Steinkriecher sind an das Leben in Hohlräumen angepasst. Sie sind platt abgeflacht und erreichen ca. eine Länge von 30 mm. Erdläufer haben eine wurmförmige Gestalt, kurze Fühler, Augen fehlen ihnen. Die Tiere besiedeln selbst gegrabene Röhren im Boden in einer Tiefe bis 40 cm. Sie können etwa 40 mm lang werden und 31 bis 191 Beine besitzen.
Doppelfüßer
In Deutschland kommen Doppelfüßer mit durchschnittlich 150 (max. 500) Tieren pro m² häufiger als Hundertfüßer vor. Ihre Körperform ist wurm- oder bandförmig, manchmal auch asselförmig verkürzt. Die Körpersegmente besitzen jeweils 2 Beinpaare. Daher kommt auch ihr Name. Zu dieser Unterordnung gehören die Bandfüßer (Polydesmidae), die Schnurfüßer (Julidae), und die ziemlich Saftkugler (Glomeridae). Alle Doppelfüßer bewegen sich grabend im Boden fort.
Horizontale Verbreitung im Boden
Feuchte Laubwaldböden gelten als artenreiche Standorte mit hoher Individuenanzahl. Hier können 15 und mehr Arten nebeneinander vorkommen. So können im Herbst oder Frühjahr in Auwaldböden durchschnittlich 200 bis 300 Tiere pro m² festgestellt werden. Trockene Waldböden (z. B. Traubeneichenwälder) und saure Böden von Mischwäldern sind deutlich weniger besiedelt. Offensichtlich spielt hier der Feuchtigkeitsgrad eine große Rolle, aber auch die Art der Streu. Viele Arten kommen hier ausschließlich unter Baumrinde vor. Wiesen stellen einen sehr ungünstigen Lebensraum für Tausendfüßer dar. Es fehlen Versteckmöglichkeiten. Die ständige Überschwemmungsgefahr in der Aue hält die Tiere dort auch fern. Oft sind Wiesen völlig unbesiedelt. Auf Ackerböden finden sich ausschließlich Juliden.
Bodenbiologische Bedeutung
Tausendfüßer ernähren sich bis auf die Hundertfüßer vorzugsweise von abgestorbenem pflanzlichem Material, wobei sie leicht zersetzbare Streu bevorzugen. Die Larven weiden meist Pilz- oder Algenrasen ab. Tausendfüßer tragen maßgeblich als sogenannte Primärzersetzer zum Aufschluss der Pflanzenabfälle wie Laub bei und spielen damit eine wichtige Rolle im Stoffkreislauf. Als Erstzersetzer des pflanzlichen Bestandsabfalls kommen die Polydesmiden in Frage. Eine wichtige Rolle für die Bodenfruchtbarkeit spielen besonders die Glomeriden und Juliden. Sie können im Laufe eines Jahres fast die Hälfte des Bestandsabfalls im Wald zersetzen. Ihre Kotballen enthalten eine Mischung aus aufgeschlossener Streu und mineralischen Bodenteilchen. Ähnlich wie bei Regenwürmern können sie Ton-Humus-Komplexe enthalten. Bedeutend ist, dass die Kotballen in tieferen Bodenbereichen abgelegt werden. Diplopoden unterstützen damit in beachtlichen Maße die Tätigkeit der Regenwürmer. Es wurde sogar beobachtet, dass diese wichtige Tätigkeit in Sandböden, die aus Feuchtigkeitsgründen von Regenwürmern gemieden werden, von Tausendfüßern allein übernommen wird. Der eher nützlichen Rolle der Tausendfüßer steht leider auch in wenigen Fällen die Rolle als Schädling entgegen. In Gewächshäusern befressen einige Arten die Pflanzenteile. Blaniulus guttulatus ist als Schädling für Erdbeeren, Kartoffeln, Gemüse und Blumen bekannt.
Ökologisch haben zeigen sie ähnliche Anpassungen an den Lebensraum Boden wie die Asseln. Sie besitzen einen starken Panzer gegen das Austrocknen, seitliche Wehrdrüsen und Fühler mit Feuchtigkeitsrezeptoren. Auch das Einrollen, wie bei Asseln, ist gut zu beobachten.
Literatur:
Blower, J. G. (1985): Millipedes. Keys and notes for the identification of the species. – Synopses of the British Fauna, (N. S.) 35: 242 S. London.
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