Streu
Der Zustand dieses Waldbodens wird sich relativ zügig durch die Arbeit der Bodenorganismen ändern. ©Alexander Stahr

Allein in Deutschland fallen bei einem etwa 80-jährigen Buchenbestand pro Hektar Waldfläche im Jahr etwa drei Tonnen Laub an. Das Laub der Bäume müsste sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte demnach bis zum Himmel türmen. Das passiert aber nicht. Ist da etwa eine Geisterhand am Werk? Um die Antwort vorwegzunehmen: Natürlich nicht. Zuständig ist der ortsansässige Entsorgungsbetrieb namens Edaphon (von griechisch edaphos = Erdboden). Der Begriff bezeichnet die Gesamtheit der im Boden lebenden Organismen. Und dieser Betrieb hat zig Milliarden Mitarbeiter. Von groß (Regenwurm) bis ganz klein (Bakterie). Die Beseitigung oder Zersetzung des Laubes oder der Nadeln erfolgt durch den biologischen Entsorgungsbetrieb aerob (unter Sauerstoff) in vier Phasen, die zum Teil gleichzeitig ablaufen.

1. Absterbephase

Wenn ein Blatt eines Baumes im Herbst welk wird und sich allmählich in Gelb- oder Rottöne verfärbt, beginnt bereits die erste Phase der Zersetzung. Wichtige, nur mit hohem Energieaufwand zu erzeugende Stoffe (z. B. Chlorophyll, der grüne Blattfarbstoff) werden in den Stamm zurückgezogen, damit sie im folgenden Jahr der Pflanze wieder zur Verfügung stehen. Erste chemische Abbauprozesse (z. B. Aufspaltung von Stärke in Zucker) beginnen, aber noch ohne sichtbare Zerstörung des Zellverbandes im Blatt. Gleichzeitig nimmt die Anzahl an Mikroorganismen auf dem absterbenden Blatt zu, von denen einige sicherlich schon Appetit darauf haben. In der Absterbephase erfolgt die Zersetzung noch weitgehend nach den Maßgaben des Baumes. Ist der Rückzug des grünen Farbstoffs der Blätter vollständig beendet, bildet sich zwischen Ast und Blatt eine Korkschicht aus. Nun ist das gelbe oder rötliche, von hungrigen Mikroorganismen bereits übersäte Blatt vollständig von der Versorgung abgeschnitten. Es bekommt kein Wasser und damit auch keine Nährstoffe mehr. Es verhungert sozusagen und fällt irgendwann ab oder der Wind bläst es vom Ast.

2. Auswaschphase

Am Boden liegend, kommt auf dem Blatt zu einem weiteren rasanten Anstieg der Mikroorganismen, die auf schnell verfügbare organische Substanzen spezialisiert sind. Es werden leichtlösliche organische Verbindungen (z. B. Zucker) vom Niederschlag ausgewaschen, auf die sich diese Mikroorganismen stürzen. Bevorzugt auf der Unterseite des Blattes, wenn es damit in Richtung Himmel liegt und Wasser sowie Mikroorganismen über Spaltöffnungen und erste zerstörte Zellwände besonders leicht eindringen können. Der Landwirt kennt das nur zu gut, wenn Nährstoffe im Heu durch Regen ausgewaschen werden und das Heu für eine gesunde Ernährung der Nutztiere somit eher unbrauchbar wird.

Abbauresistenz von organischen Verbindungen in der Streu (gering bis stark):

Zucker (kurzkettig), Stärke, Proteine (Eiweiße)< Pektine (Geleeherstellung!)< Hemizellulose (langkettiger Zucker)< Zellulose (langkettiger Zucker)< Lignin (Hauptbestandteil von Holz)< Wachse< Harze< Gerbstoffe

3. Zerkleinerungsphase

Blattzersetzung
Durch Bodenorganismen skelettiertes Blatt einer Sternmagnolie (Magnolia stellata). ©Alexander Stahr

In dieser Phase erfolgen die mechanische Zerkleinerung der Streu und die Vermischung mit dem Mineralboden durch Vertreter der Makrofauna (z. B. Regenwürmer, Schnecken, Insekten) und der Mesofauna (z. B. Nematoden, Springschwänze). Die größeren Bodentiere, auch Primärzersetzer genannt, zerbeißen die Blätter und ziehen sie in den Boden. Sie nehmen dabei recht viel organische Substanz auf und scheiden sie als Kot aus. Die Nahrung wird dabei relativ schlecht verwertet (Nettoassimilation oder Aufnahme in den Organismus <10 %). Regenwurmkot (Losung) weist eine große Oberfläche auf und enthält eine gewisse Menge an mineralischen Bestandteilen. Er dient Vertretern der Mesofauna (Sekundärzersetzer) als Nahrung und trägt zur Strukturverbesserung des Bodens bei, indem er im Oberboden (A-Horizont) für ein stabiles Krümelgefüge mit optimaler Porengrößenverteilung und somit für einen ausgeglichenen Wasser- und Lufthaushalt sorgt.

4. Mikrobielle Phase

Nun wird das organische Material von Bakterien und Pilzen weiter zersetzt (natürlich auch zeitgleich bereits in der Auswasch- und Zerkleinerungsphase). Unter Mithilfe von Enzymen [Ein Enzym ist ein Stoff oder genauer ein Eiweiß, das eine chemische Reaktion beschleunigt oder verursacht. Am Ende seiner „Arbeit“ ist das Enzym wieder unverändert. Es wird auch als Katalysator bezeichnet (von griechisch kataklao = zerbrechen und lyein = lösen)] werden die organischen Verbindungen über mehrere Stufen in ihre Grundbausteine aufgespalten. Ein kleinerer Teil der Spaltprodukte des organischen Materials wird dabei von den Mikroorganismen zum Aufbau der Körpersubstanz verwendet (Baustoffwechsel), ein größerer durch Oxidation (mikrobielle Veratmung) als Energie- und Nährstoffquelle genutzt (Betriebsstoffwechsel). Dabei entstehen unter Freisetzung von Energie (Wärme wie beim Komposthaufen oder Komposter im Garten) als Endprodukte anorganische Verbindungen wie Kohlenstoffdioxid (CO2) Wasser (H2O) und Ammonium (NH4) sowie Calcium (Ca), Kalium (K), Magnesium (Mg), Phosphat (PO43-) und andere Mineral- oder Pflanzennährstoffe. Ein Teil dieser Mineralstoffe wird ebenfalls von Mikroorganismen aufgenommen, die übrigen Mineralstoffe gelangen in die Bodenlösung (Bodenwasser) und stehen somit wieder für die Pflanzen als Nährstoffe zur Verfügung. Unter anaeroben Bedingungen können die gleichen Produkte der Zersetzung entstehen, sofern andere Oxidationsmittel wie etwa dreiwertige Eisen-Ionen (Fe3+) vorhanden sind.

Diese vierte Phase der Zersetzung bezeichnet man als Mineralisierung. Dabei handelt es sich um einen Teilprozess der Streuzersetzung, da ein Anteil der aufgespaltenen organischen Substanz durch Humifizierung zu neuen hochmolekularen organischen Verbindungen umgewandelt wird, zu Huminstoffen, die dem Oberboden seine dunkle Färbung verleihen.

Ähnlich wie die Zersetzung der pflanzlichen Biomasse verläuft die Verwesung von Tierkadavern. Der Geruch eines Kadavers lockt natürlich Fleischfresser der unterschiedlichsten Gattungen und Arten an: Füchse, Marder, Dachse und andere. Selbst Wildschweine sind an Aas interessiert. Fliegen legen ihre Eier im Kadaver ab, deren Larven oder Maden bald vom übrigen Fleisch zehren. Pilze und Bakterien sind ebenso schon am Werk und zersetzen allmählich Fleisch und Knochen. Die Knochen mögen zum Beispiel auch Eichhörnchen und Mäuse. Denn diese Körperteile liefern ihnen gerade in kalkarmen Regionen reichlich Calcium. Und über frischen Tierkot machen sich die Mistkäfer her, bereits angetrocknete Ausscheidungen werden durch Pilze und Mikroorganismen zersetzt.

Die Zersetzungsgeschwindigkeit

Felshumusboden
Im Hochgebirge schreitet der Abbau der Streu infolge oft niedriger Temperaturen, langer Schneebedeckung und hoher Niederschläge nur langsam voran. Daher bilden sich zum Teil mächtige organische Auflagen. ©Alexander Stahr

Sie hängt ab von der stofflichen Zusammensetzung der abzubauenden pflanzlichen und tierischen Überreste. Die Zersetzung oder Verwesung von Tierkadavern erfolgt relativ rasch. Deutlich schneller als bei Pflanzenüberresten. Eine Maus ist innerhalb weniger Wochen verschwunden. Verholzte Pflanzenteile werden deutlich langsamer abgebaut als beispielsweise die Überreste von Gräsern und Kräutern. Besonders langsame Abbauraten finden sich bei gerbstoffhaltigen Pflanzen wie dem Heidekraut. Die Abbaugeschwindigkeit hängt insbesondere von den Lebensbedingungen der Bodenlebewesen und somit von den Standortfaktoren ab.

Klima

Die meisten zersetzenden Bodenorganismen bevorzugen einen Temperaturbereich zwischen 25 und 30 Grad Celsius. Daher ist die Abbaugeschwindigkeit in den Tropen sehr hoch und zum Beispiel in den Hochgebirgen in Abhängigkeit von der Exposition (Sonneneinstrahlung) mehr oder weniger gering. Auch das Wasserangebot ist, in Abhängigkeit von der Poren- und Korngrößenverteilung, ein wesentlicher Faktor für die Abbaugeschwindigkeit. Im gemäßigten Klimabereich sind sandige Böden häufig zu trocken, tonige, feinporige Böden zu nass. Daher ist die Abbaugeschwindigkeit der Biomasse etwa in Böden aus Löss mit einer ausgeglichenen Porengrößenverteilung recht hoch.

Nährstoffgehalt des Bodens

Bei einem tiefen pH-Wert des Bodens herrscht oft Nährstoffmangel vor. Das kann die Zersetzung organischer Substanz hemmen. Vor allem dann, wenn die Streu wenig Nährstoffe besitzt. Dies ist zum Beispiel bei einem Bestandesabfall aus Nadeln von Koniferen (Nadelbäume) der Fall.