Entstanden so unsere Böden?
Entstanden so unsere Böden? ©Alexander Stahr

Das ist natürlich für alle am Boden Interessierte eine grundlegende Frage, sei es für Studierende der Erd- oder Geowissenschaften oder für naturkundlich interessierte Laien. Die Antwort findet sich in vielen Büchern, Broschüren, Flyern und anderen Printpublikationen sowie auf vielen Internetseiten in Form von Texten, Grafiken oder Videos und trifft, zumindest für weite Teile Europas und viele andere Regionen der Erde, nicht zu.

Die vorherrschende Darstellung

Sie lautet zusammenfassend wie folgt: Durch Verwitterung des anstehenden Gesteins entsteht der Boden. Sonnenlicht, Niederschläge, Frost und Wind (= Standortfaktoren) wirken auf das Ausgangsgestein ein und zerkleinern es allmählich. Erste Risse entstehen, dann wird das Gestein immer stärker durch die fortschreitende Verwitterung zerkleinert. Pflanzen siedeln sich an, die mit ihren Wurzeln mechanisch und chemisch (Exudate) die Verwitterung beschleunigen. Schließlich ist die Verwitterung soweit fortgeschritten, dass sich in feinkörnig verwittertem Fels ein Boden entwickelt hat (siehe Grafik).

Die Realität

Diese Darstellung mag für die Tropen zutreffen, die in den vergangenen 2,6 Millionen Jahren nie von Eiszeiten unmittelbar betroffen waren, oder für reliktische Paläoböden, wie sie z. B. in europäischen Mittelgebirgen mancherorts anzutreffen sind. Doch die Mehrzahl der Böden, die heute in weiten Teilen Europas und anderen Regionen der Erde vorzufinden sind, entstand nicht durch die Verwitterung von Festgestein, sie entwickelten sich in Lockergesteinen.

Während der jüngsten Eiszeit wurde Boden- und anderes Lockermaterial in den Glazial- und Periglazialgebieten mehrfach durch glaziale und solifluidale Prozesse sowie durch Vorgänge der Abluation aufgearbeitet. Vielfach wurde äolisches Sediment (Löss), lokal auch vulkanische Tephra, dabei eingearbeitet. Die Entwicklung der meisten (natürlichen) Böden in genannten Gebieten konnte daher erst zu Beginn des Holozäns vor rund 0,0117 Millionen Jahren einsetzen. Sie entwickelten sich in lösshaltigen Solifluktionsschuttdecken (Lagen) über unterschiedlichsten anstehenden Gesteinen (z. B. Plutonite, Vulkanite, Quarzite, Tonschiefer), in Löss- und Flugsandakkumulationen, in Auen- und Flusssedimenten sowie in glazialen oder fluvioglazialen Ablagerungen (Moränen, Schotter etc.). Daher weisen die Böden nicht die physikalischen und chemischen Eigenschaften auf, die man von Verwitterungsprodukten des unterlagernden Festgesteins erwarten würde. Somit sind oft für Mitteleuropa in der Literatur angegebene zeitliche Entwicklungsreihen (Chronosequenzen) vielfach nicht zutreffend. So etwa die Entwicklungsreihe aus Sandstein: Gestein, Syrosem, Ranker, Braunerde, Podsol. Oder die Entwicklungsreihe für Kalkstein mit Tonanteil: Gestein, Syrosem, Rendzina, Terra fusca.

Aus relativ verwitterungsresistenten Gesteinen (z. B. Quarzit, Granit, Basalt) konnten sich unter den klimatischen Bedingungen Mitteleuropas im Holozän kaum nennenswerte Verwitterungsrückstände bilden. Auf relativ leicht verwitterbaren Carbonatgesteinen (Lösungsverwitterung) finden sich z. B. in einigen Gegenden Deutschlands zwar Böden, die aus dem anstehen Kalkstein hervorgingen, doch ist diese Entwicklung ebenfalls nicht mit der landläufigen Schilderung der Bodenbildung in Einklang zu bringen. Das Gestein geht in Lösung. Zurück bleiben Verunreinigungen (Residuum), in denen sich, je nach Reinheit des Kalkes und Verwitterungstiefe, mehr oder weniger mächtige Böden entwickelt haben. Häufig sind dem Residuum äolische Bestandteile beigemengt. So z. B. bei Böden der nördlichen Kalkalpen (Stäube aus den Zentralalpen, Saharastaub, Löss) oder bei Böden der Fränkischen Alb, wo das lokal relativ mächtige Residuum aus mesozoisch-tertiärer (Paläogen, Neogen) Verwitterung (= Alblehm) oberflächennah mit pleistozänem Löss solifluidal vermengt vorliegt.

Boden durch Verwitterung erneuerbar?

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die Mehrzahl der Böden in den ehemaligen Glazial- und Periglazialgebieten aus allochthonen Lockersedimenten entwickelt hat (u. a. Solifluktionsschuttdecken, Lössakkumulationen, fluvioglaziale Schotter, Moränen). Ausnahmen bilden organische Böden (O-C-Böden, Moore), die jedoch im Zusammenhang mit der allgemeinen Vorstellung von Bodenentwicklung (siehe Grafik) nicht gemeint sein dürften. Die gängige grafische Darstellung der Bodenentstehung birgt jedoch eine Gefahr: Sie kann beim Betrachter den Eindruck entstehen lassen, Boden sei durch Verwitterung stets erneuerbar, da z. B. die Faktoren Zeit und Verwitterungsraten von Gesteinen nicht berücksichtigt werden. Zugute halten muss man der Darstellung oder Grafik, dass sie zeigt, dass Gesteine prinzipiell erst einmal verwittern müssen, damit mineralischer Boden entstehen kann.