Le goût de la terre: Bilder aus Boden
Der Zugang zum Boden, die Bildung eines Bodenbewusstseins kann auf vielen Wegen erfolgen. Einer dieser Wege ist sicherlich ungewöhnlich, doch durchaus erfolgversprechend: Die Bildende Kunst, die mit unterschiedlichsten künstlerischen Ausdrucksweisen die ästhetischen Aspekte des Bodens ins rechte Licht rücken kann. Dies zeigte 2010 etwa die Ausstellung mit Bildern aus dem Zyklus „Le goût de la terre“ der Wiesbadener Künstlerin, Architektin und Kunstdozentin an der Sommerakademie Schwalenberg Dr. Ing. Nina Stoelting im Hessischen Landesamt für Umwelt und Geologie (Wiesbaden). Sie hat aus Bodenmaterial künstlerisch eine synästhetische Realisierung von Weinbergböden in ihren Werken geschaffen. Ahabc.de befragte Nina Stoelting zu Ihrem Werk und zum Thema Boden und Kunst.Eine wissenschaftliche Methode, Boden zu dokumentieren, ist die Herstellung eines Lackprofils oder Lackabzuges. Ein Lackprofil eines Bodens gibt naturgetreu seinen Aufbau wieder und ist somit eine hervorragende Art der wissenschaftlichen Dokumentation. Zudem hat ein Lackprofil eines Bodens einen großen ästhetischen und damit nicht zuletzt auch einen gewissen künstlerischen Wert. Es gibt aber in der Kunst auch die Möglichkeit, aus dem Material eines Bodens diesen synästhetisch als Kunstwerk zu realisieren.
Wie kommt man auf die Idee dazu?
Nina Stoelting: Seit mehreren Jahren ist Wein ein zentrales Thema in meiner Arbeit. Angeregt durch die Bedeutung des Weines in der christlichen Ikonographie, beschäftigte ich mich lange mit der malerischen Umsetzung des Geschmackes von Wein und schlug schließlich eine Brücke zur Geologie. Bei der genauen Betrachtung der Weinberge stellte ich fest, dass der Boden überall sehr unterschiedlich aussieht und sich durch die spezifische Anbauweise und Lage auch immer eine andere Oberfläche ergibt. Das faszinierte mich sehr, man muss nur richtig hinsehen und dann ergibt sich ein unglaubliches farbiges Spektrum, insbesondere wenn das Material nass ist. Der Boden, das Terroir, ist ein wesentlicher Faktor des Zyklus „Le goût de la terre“. Anfangs arbeitete ich im Burgund – als Wiege nicht nur der abendländischen Kultur sondern eben auch des Weinbaus – später dann in herausragenden deutschen Lagen.
Welche Arbeitstechniken haben Sie dabei angewendet? Und was wollen Sie mit Ihren Bildern darstellen oder vermitteln?
Nina Stoelting: In diesen großen historischen Lagen sammelte ich dann die charakteristischen Steine. Das authentische Material der spezifischen Weinberge wurde zerkleinert und zermahlen, mit Pigmenten versetzt und auf große Holztafeln aufgebracht. Dargestellt sind Aufblicke auf Weinberge in sehr unterschiedlicher Dimension. Konkret spiegeln sich deren Struktur, Anbauweise oder Gesteinselemente in den großformatigen Bildern wider, teils streng geometrisch, teils freier und assoziativ. Oft glaubt sich der Betrachter mit abstrakter Kunst konfrontiert, doch das Gegenteil ist der Fall: Sehr konkret sind die Ausschnitte aus der Natur, in denen die Rebstöcke jedoch fehlen, um den Blick auf den Boden freizugeben.
Die künstlerische Beschäftigung mit dem Thema Boden setzt ja ein Interesse an der Natur voraus. So schufen Sie ja auch die Zyklen „Waldbilder“, „Weinbilder“ und „Rindenbilder“. Haben Sie eine besondere Beziehung zur Natur, zum Boden? Und wenn ja, woher stammt diese?
Nina Stoelting: Natur und Kultur sind zwei große Themen in meinem Leben. Jeder Mensch sucht nach Identität und fragt sich, warum er ist, wie er ist. Ich finde sowohl in der Kultur als auch in der Natur darauf Antworten. Die Natur zeigt in ihrer großen Vielfalt auch immer wieder ähnliche Strukturen. Stellen Sie sich nur einen Baum vor: Hat er nicht die gleiche Form wie ein einzelnes Blatt?! Und ist dieses nicht letztlich ähnlich aufgebaut wie eine Hand?! Wenn man lange genug in dieser Betrachtung versinkt, dann weiß man, woher man kommt.
Können Sie sich auch noch eine andere künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Boden vorstellen?
Nina Stoelting: Oh ja, mich faszinieren insbesondere Steine! Wenn man nah genug daran geht, den Maßstab stark vergrößert, dann ergeben sich herrlich abstrakte Bilder, mit denen ich mich gerne intensiver beschäftigen möchte. Aber nach dem jahrelangen Austausch mit Geologen weiß ich inzwischen, dass Steine genau genommen kein Boden sind. Doch ich kann mir zum Glück die künstlerische Freiheit bewahren.
Glauben Sie, dass Ihre Werke bei den Betrachtern und Käufern auf irgendeine Art und Weise nachhaltig zu einem Bodenbewusstsein beitragen?
Nina Stoelting: „Nachhaltig zum Bewusstsein beitragen“ ist so hoch gegriffen, dass ich das nicht für mich beanspruchen möchte. Dennoch höre ich immer wieder, auch nach langer Zeit, dass meine Arbeiten bei den Betrachtern den Blickwinkel verändert haben, tatsächlich also ein neues Bewusstsein entstanden ist.
Wie wurden oder werden Ihre Werke des Zyklus „Le goût de la terre“ von der bodenkundlichen Fachwelt aufgenommen und beurteilt?
Nina Stoelting: Erstaunlich gut! Selten habe ich so beinahe euphorische Reaktionen erlebt. Es gab zu den Ausstellungen immer begleitende Veranstaltungen. Die Fachwelt ist mit eingestiegen, hat sich auf diese für sie fremde Sichtweise eingelassen und erkannt, dass sich über die Kunst auch andere Inhalte für eine größere Öffentlichkeit transportieren lassen. Kunst sorgt für Kommunikation. Ich selber habe durch die intensive Auseinandersetzung die Unbefangenheit mit dem Thema Boden verloren. Und vielleicht führt das umgekehrt genauso dazu, dass die Wissenschaftler nun das Schöpferische am Boden sehen. Wissen erweitert die Perspektive.
Für viele Menschen ist Boden leider nur „Dreck“, der an den Schuhen haftet, obwohl er die Lebensgrundlage für Mensch, Tier, Pflanze und zahllose andere Lebewesen ist. Was bedeutet Boden für Sie als Künstlerin ganz persönlich?
Nina Stoelting: Boden bedeutet für mich Leben. Da ich am Leben hänge, hänge ich auch am Boden. So schön es ist, auch mal hochzuspringen, so gut ist es, nie die Haftung, die Wurzel zu verlieren.
Ahabc.de dankt Dr. Nina Stoelting für die interessanten und in vielerlei Hinsicht zum Nachdenken anregenden Antworten und wünscht ihr auch weiterhin viel Erfolg mit ihren Werken.
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