Dr. Katrin Meusburger
Dr. Katrin Meusburger von der Forschungsgruppe Umweltgeowissenschaften des Departements Umweltwissenschaften der Universität Basel im Gespräch mit ahabc.de. ©privat

Bodenerosion ist ein globales Umweltproblem. Weltweit gehen nach behördlichen Schätzungen jährlich etwa 24 Milliarden Tonnen wertvollen Bodens durch Erosion verloren. Aufgrund der hohen Reliefenergie des Hochgebirges sowie der dort vorherrschenden klimatischen Verhältnisse ist neben der Bodenerosion durch Wasser (und in geringerem Ausmaß durch Wind) insbesondere der Massenschurf durch Schneedeckenbewegungen ein entscheidender Faktor für die Abtragung von Böden auf Weideflächen (= Alpen, Almen). Welche Rolle dabei die Art und Weise der Weidebewirtschaftung spielt und ob diese einen wesentlichen Einfluss auf das Erosionsgeschehen hat, fragte ahabc.de Dr. Katrin Meusburger von der Forschungsgruppe Umweltgeowissenschaften des Departements Umweltwissenschaften der Universität Basel. Frau Dr. Meusburger erforscht unter anderem Bodenerosionsprozesse in den Alpen.

In den vergangenen Jahrzehnten haben Erosionsschäden auf Weiden (Schafe, Rinder) alpenweit zugenommen. Als Ursache wird in der Schweiz z. B. der freie Weidegang (Standweide) von Schafen diskutiert, da die Tiere bestimmte Weideareale (Gratlagen und oberste Weideflächen) verstärkt aufsuchen und übernutzen (Fraß- und Trittschäden). Im Jahr 2000 hat die Schweiz eine Sömmerungsbeitragsverordnung eingeführt, um die Produktionsgrundlage der Alpwirtschaft zu schützen. In dieser Verordnung wird eine nachhaltige Weideführung mit höheren finanziellen Zuwendungen durch den Staat belohnt und stark übernutze Flächen werden aus der Beweidung ausgeschlossen. Die höhere finanzielle Unterstützung für die nachhaltige Bewirtschaftung der Weiden (Koppelhaltung, ständige Behirtung) führte dazu, dass zahlreiche Schafhalter die Standweide zu Gunsten alternativer Weidebewirtschaftungsformen aufgegeben haben. Hat dies einen deutlichen Einfluss auf das Erosionsgeschehen gehabt?

Dr. Meusburger: Diese Fragestellung hat sich das Projekt SchafAlp zum Thema gemacht. Das Büro Alpe koordinierte dieses Projekt, das von Agridea, Pro Natura, Schweizerischer Schafzuchtverband und WWF Schweiz gemeinsam in Auftrag gegeben wurde. Im Rahmen von SchafAlp haben wir uns mit dem Modul Bodenerosion befasst. Zur Untersuchung des Effekts der Weideumstellung wurden vor ca. 10 Jahren aufgenommenen Fotographien und Luftbilder von 9 Schafalpen ausgewertet. Dabei zeigten die Fotographien, die vorwiegend dort aufgenommen wurden, wo Schafe als Grund für die Bodenerosion vermutet wurden, eine Abnahme der Erosion. Dort ist durch die Weidesystemumstellung offensichtlich ein positiver Effekt eingetreten. Im Gegensatz dazu stehen die Ergebnisse der Luftbildauswertung. Die Luftbilder umfassen die ganze Alpfläche und zeigen insgesamt im Mittel über die Alpen keine Abnahme der Erosion. Es scheint, dass hier viele kleinere Teilflächen zunehmend durch Schneeschurf und Winterprozesse geschädigt sind. Auch Auswertungen aus Untersuchungsgebieten im Obergoms und Nord Tessin weisen darauf hin, dass Schneeprozesse wie z. B. Schneeschurf verstärkt Schäden hervorrufen. Es scheint, dass dieser Trend jedoch durch nachhaltige Bewirtschaftung gebremst werden kann. Aus wissenschaftlicher Sicht wird jedoch noch eine bessere Datenlage zur Bestätigung dieser Ergebnisse benötigt.

Forschungsergebnisse aus dem deutschen Alpenraum in den 90-ziger Jahren (z. B. Forschungsberichte Nationalpark Berchtesgaden, Deutschland) haben gezeigt, dass die beschleunigte Bodenabtragung auf Almen ausschließlich auf Schneedeckenbewegungen im Frühjahr (Schneerutschungen, Grundlawinen, Schneeschurf) und nicht auf Bodenrutschungen zurückzuführen ist. Trifft dies auch für Alpen in der Schweiz zu?

Dr. Meusburger: Die beschleunigte Bodenabtragung ist auch in den Alpen der Schweiz zum Teil auf eine Änderung der Schneedeckenbewegung zurückzuführen. Dabei ist die Änderung der Schneebedeckung und deren Bewegung nicht nur auf klimatische Faktoren zurückzuführen, sondern auch auf eine Veränderung der Landnutzung und Oberflächenbedeckung. Unsere Untersuchungen hierzu konnten zeigen, dass eine erhöhte Oberflächenrauhigkeit bedingt durch die Vegetation im Herbst die Schneegleitraten und den damit verbundenen Bodenabtrag senkt. Die gemessenen Schneegleitraten nahmen von Heuwiesen über Weiden bis zu Weiden mit Zwergsträuchern ab. Studien in Österreich zeigten allerdings, dass eine Aufgabe der Weidenutzung bis zur Sukzession von Zwergsträuchern und höheren Pflanzen zunächst zu erhöhten Schäden durch Schneebewegungen führen kann. Die Berglandwirtschaft entwickelt sich in vielen Regionen hin zu einer Nutzungsaufgabe von unzugänglichen Gebieten und einer Nutzungsintensivierung von zugänglichen und somit ökonomisch attraktiven Gebieten. Ein stark genutzter, vielleicht schon leicht geschädigter Boden ist natürlich für Schäden durch Schneebewegungen anfälliger, als ein stabiler Boden mit geschlossener Vegetationsdecke. Beide Entwicklungen führen somit zumindest vorübergehend zu einem beschleunigten Bodenabtrag. Nicht zu vergessen ist, dass der beschleunigte Bodenabtrag auch mit der zunehmenden Erosivität von Niederschlägen zusammenhängt, die wir schweizweit für die Monate von Mai bis Oktober feststellen konnten.

Bodenerosion durch Bewegungen der Schneedecke
Bodenerosion durch Bewegungen der Schneedecke. ©Dr. Katrin Meusburger

Die Zunahme und Ausweitung von Erosionsschäden auf Almen im bayerischen und auch im österreichischen Alpenraum durch Schneedeckenbewegungen jeglicher Art wird in der neueren Literatur insbesondere auf die mangelnde Pflege der Weideflächen zurückgeführt (keine Ausbesserung von Trittschäden, keine Aufbringung von Rasensoden zur Schließung von Bodenschäden), so dass nachfolgende Schneedeckenbewegungen die Schäden stets ausweiten. Wie stellt sich dies in der Schweiz dar?

Dr. Meusburger: Ja, nachlassende Pflege der Almen scheint auch ein wichtiger Punkt für den beschleunigten Bodenabtrag zu sein. Die Auswertung von Alpinspektionsberichten ergab, dass die o. g. Pflegemaßnahmen in unserem Untersuchungsgebiet zwischen 1950-2000 abgenommen haben und parallel die Erosionsschäden zugenommen haben. Jedoch spielen hier auch klimatische Effekte rein, die sich nicht eindeutig trennen lassen. Die räumliche Verteilung der neu hinzugekommen Schäden spricht jedoch für einen deutlichen Einfluss der Landnutzung. Zudem konnten wir durch die Auswertung von Luftbildaufnahmen der letzten Jahrzehnte feststellen, dass sich Bodenerosionsschäden ohne Pflegemaßnahmen nur sehr langsam regenerieren. Schneeprozesse und starke Niederschlagsereignisse können diese Schäden zudem weiter ausdehnen.

Kann man daher sagen, dass die Zu- oder Abnahme von Erosionsschäden auf Weideflächen im Hochgebirge in erster Linie von der Intensität der Pflege der Weideflächen abhängt?

Dr. Meusburger: Grundsätzlich kann man das wohl so nicht sagen. Wir haben bisher drei alpine Täler untersucht (Obergoms im Wallis, Urseren Tal im Uri, Val Piora und Bedretto im Tessin) und sind auf unterschiedliche Ursachen gestoßen: Veränderte Landnutzung, veränderte Schneedynamik durch Klimawandel oder eine Kombination aus Beidem. Bis zu einem gewissen Grad lassen sich die Erosionsschäden sicher über das Management beeinflussen. Er wird jedoch immer Extremereignisse geben, die durch eine nachhaltige Nutzung nicht gepuffert werden können.

Gibt es in der Schweiz Organisationen (z. B. Schweizer Alpen-Club, Club Alpin Suisse, Club Alpino Svizzero oder Umweltschutzorganisationen), die sich aktiv und im freiwilligen Einsatz um die Pflege von Erosionsschäden auf Alpen kümmern? Und wenn ja, was wird unternommen?

Dr. Meusburger: Ich muss gestehen, es ist mir nichts bekannt. Das heißt aber nicht, dass es wirklich nichts gibt. Wir haben gerade ein Projekt gestartet, in dem wir probieren Menschen die im Gebirge unterwegs sind, sei es zum Wandern, Ski fahren etc. zu motivieren, Erosionsschäden per Foto aufzunehmen. Wir haben hierzu mit der Forschungsgruppe „Datenbanken und Informationssysteme“ der Informatik an der Uni Basel eine Smartphone Anwendung die sogenannte „Citizens’ Observatory Smartphone App“ oder kurz COSA App entwickelt. Die App soll über Organisationen wie z. B. den Schweizer Alpen-Club verbreitet werden. Dieses Prinzip der ehrenamtlichen Kartierung wird schon in vielen Monitoring Bereichen wie z. B. der Schmetterlings- und Vogelkartierung erfolgreich eingesetzt. Ziel des Erosionsmonitorings wäre zum einen Hinweise auf Standorte mit beschleunigtem Bodenabtrag zu erhalten. Ein weiterer wichtiger Aspekt wäre aber auch das Bewusstsein der Bevölkerung für die Gefährdung der Ressource Boden im Berggebiet zu schärfen.

Wären zur Eindämmung der Erosion auf Alpen – zumindest vorübergehend – auch aufwändige und kostenintensive technische Maßnahmen denkbar. Etwa Lawinenverbauungen oder sonstige Maßnahmen?

Dr. Meusburger: In erster Linie sollte natürlich das Nutzungskonzept geprüft werden. Vielversprechend scheinen mir in einem weiteren Schritt ingenieurbiologische Lösungen. Die Arbeitsgruppe für Hochlagenbegrünung konnte hier schon einige Erfahrung sammeln und auch an der WSL wird in diesem Zusammenhang und im Besonderen zum Effekt der Mykorrhiza zur Stabilisierung von Hangvegetation geforscht.

Wie schätzen Sie die Zukunft der alpinen Weiden (Alpen) ein, was das Erosionsgeschehen betrifft – auch vor dem Hintergrund des prognostizierten Klimawandels?

Dr. Meusburger: Die Sömmerungsbeitragsverordnung die in Richtung des Schutzes der Produktionsgrundlage der Alpwirtschaft und Pflege dieser Kulturlandschaft geht und nicht auf Produktionsmaximierung ausgelegt ist, schätze ich als zukunftsfähig ein. Jedoch wird es gerade im Zusammenhang mit den klimatischen Veränderungen wichtig sein, Werkzeuge zur Erkennung von beschleunigter Bodenerosion zur Hand zu haben um dann entsprechende Maßnahmen einleiten zu können. Für Ackerflächen gibt es hierzu bereits eine potentielle Erosionsrisikokarte. Für alpine Gebiete wird eine solche Karte Gegenstand unserer Forschung in den kommenden Jahren sein. Wichtig wäre aus unserer Sicht auch, dass parallel zu den Grenzwerten für Bodenerosion auf Acker (2-4 t/ha yr in der Schweiz) auch Grenzwerte für Bodenerosion auf Grasland bzw. umgepflügten Böden formuliert werden. Selbst wenn die Überwachung und Kontrolle dieser Grenzwerte in vielen Fällen schwierig sein mag, so wäre zumindest einmal der politische Wille formuliert, dass auch diese Böden schutzwürdig sind.

Ahabc.de dankt Frau Dr. Meusburger für die informativen Antworten und wünscht ihr weiterhin viel Erfolg bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit!