Leichen im Boden oder: Moorleichen
Funde von Leichen im Moor haben seit Menschengedenken schauerlichste Empfindungen bei den Entdeckern und gewinnbringende Ideen bei Autoren und Filmemachern ausgelöst. Etwa Geschichten von Scheintoten und ihren Umtrieben im Moor. Aber bleiben wir bei der Realität: Beim Abbau von Torf wurden allein in Europa bislang mehrere hundert mumifizierte menschliche Leichen oder Leichenteile entdeckt. Sie sind allgemein als Moorleichen bekannt. Es gibt Moorleichen in außerordentlich gut erhaltenem Zustand. Bei ihnen sind Haut, Haare, Weichteile, Kleidungsstücke und auch Grabbeigaben weitgehend konserviert. In diesen Fällen hat der Bodentyp Hochmoor hervorragende konservatorische Arbeit geleistet. Berühmte Funde von Moorleichen sind u. a. die Frau von Huldremose (Dänemark), der Tollund-Mann (Dänemark) und die Frau von Peiting (Bayern), auch bekannt unter dem Namen Rosalinde.
Konservierung im Moor
Die Torfmoose im Hochmoor versauern ihren Lebensraum. Sie nehmen Nährstoffe aus dem umgebenden Wasser auf und geben Wasserstoffionen (H+) ab, welche die Umgebung versauern. Mit pH-Werten von 3,0–4,0 sind Hochmoore extrem sauer. Dieses sehr saure Milieu sorgt u. a. für den guten Erhaltungszustand von Moorleichen im Torf. Insbesondere durch den niedrigen pH-Wert und die Sauerstoffarmut – die Leichen liegen unter dem Wasserspiegel – wird die Entwicklung von Mikroorganismen (Aerobier und auch Anaerobier) gehemmt, die für die Zersetzung von organischem Material verantwortlich sind. Im Fall der Moorleichen für die Zersetzung von menschlichem Gewebe. Die mangelnde Zersetzung organischen Materials (pflanzlich) führt letztendlich auch zum Aufbau und nicht zum Abbau des Moorkörpers.
Bei Mangel an Luftsauerstoff im Boden und niedrigem pH-Wert verläuft der Verwesungsprozess von Leichen nur ungenügend. Hautfette bilden sich zu sogenannten Leichenlipiden (Fette) um, die sich im Gewebe des Leichnams einlagern und eine Verwesung behindern (= Fettsäure-Konservierung). Der Leichnam ist sozusagen von einer Schutzschicht umhüllt, welche die zersetzende Arbeit der ohnehin reduzierten Mikroorganismen behindert oder gar verhindert. Bekannt ist dieses Phänomen unter dem Begriff „Wachsleichen“ oder „Fettleichen“. Dabei handelt es sich um Leichen, die in Gräbern nicht oder nur unvollständig verwest sind, da z. B. der Grundwasserspiegel des Friedhofs zu hoch liegt. Begünstigend auf die Entstehung von Wachsleichen und den mangelnden Abbau des Leichnams durch Mikroorganismen wirken sich auch starke Antibiotikaeinnahmen durch die verstorbene Person oder eine bei ihr zuvor durchgeführte chemotherapeutische Behandlung aus. Auch Schwermetallbelastungen des Bodens können den Zersetzungsprozess von Leichen behindern und die Wachsleichenentstehung fördern.
Anders im Hochmoor. Durch den extrem niedrigen pH-Wert lösen sich bei Moorleichen im Laufe der Zeit die Knochen auf. Zudem sind im Moorwasser farblose Tannine (von französisch tanin = Gerbstoff) abundant (die bräunliche Färbung des Hochmoorwassers beruht auf der Anwesenheit von Huminsäuren). Die zu den Polyphenolen zählenden Tannine (= Grundbausteine von hochmolekularen Huminstoffen) sind hochreaktiv. Tannine binden sich über ihre phenolischen Wasserstoffbrücken derart fest an peptidische NH-Gruppen von Proteinen, dass die Proteinbindung auf enzymatischem Wege durch Mikroorganismen nicht mehr getrennt werden kann.
Dies geschieht auch beim Prozess des Gerbens von Leder mit Tanninen. Die Haut des Menschen besteht aus Kollagenen, die zu den Faserproteinen zählen. Daher führt der Kontakt der Moorleiche mit dem Gerbstoff Tannin bei gleichzeitig unzureichender mikrobieller Zersetzung zur „Verlederung“ von Haut und anderem Gewebe sowie von Haaren, Knorpeln und Nägeln. Die Leiche wird gegerbt und dadurch über Jahrhunderte konserviert. Gelegentlich findet sich bei Moorleichen sogar noch der Inhalt des Magens, was Rückschlüsse auf deren Ernährungsweise zu Lebzeiten zulässt.
Überlassung des Fotos „Rosalinde“: Fotostudio Markus Schmuck, Grassau
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