Dr. Frank-M. Czapek
Dr. Frank-M. Czapek, 1. Vorsitzender des Verbandes Deutscher Schulgeographen e. V. ©Privat

Boden ist die Existenzgrundlage von Mensch, Tier und Pflanze. Boden spielt in fast allen Lebensbereichen des Menschen eine entscheidende Rolle: So etwa bei der Ernährung (Landwirtschaft, Trinkwasserschutz), der Forstwirtschaft, beim Schutz von Siedlungen und Gebäuden (Hochwasserschutz), in der Wissenschaft und sogar in der Kunst und bei Spekulationsgeschäften. Daher sollte der Boden ein wichtiges Thema im Erdkunde- oder Geographieunterricht an allen weiterführenden Schulen sein. Doch weit gefehlt. Es existiert in vielen Fällen, so z. B. in der Sekundarstufe II, nicht einmal der Erdkundeunterricht selbst. Warum das so ist und wie man dies ändern könnte fragte ahabc.de Dr. Frank-M. Czapek. Er ist der 1. Vorsitzende des Verbandes Deutscher Schulgeographen e. V.

Boden ist in der Physischen Geographie und in der Humangeographie ein wichtiges Thema. Warum steht das Thema Boden nur untergeordnet in bundesdeutschen Lehrplänen zum Erdkundeunterricht und wird oft überhaupt nicht im Unterricht, geschweige denn im Gelände behandelt?

Dr. Czapek: Die Sachlage ist durchweg beklagenswert. Dies liegt gewiss nicht an mangelnder Bereitschaft oder fehlendem Hintergrund der Fach-Lehrkräfte. Es liegt v.a. an der geringen Stundentafel, die dem Fach Erdkunde/Geographie in allen Bundesländern zugewiesen ist. Bei durchweg höchstens 1,5 Unterrichtsstunden in der Woche und der Vielzahl anstehender Themen bleibt einfach nicht genügend Zeit zur Durchdringung wichtiger Themen. In vielen Bundesländern wird Erdkunde aber auch nicht durchgängig, in der Sekundarstufe II z. T. gar nicht verpflichtend angeboten.

Arbeit im Gelände ist kaum möglich, bestenfalls bei Wandertag oder Landheimaufenthalt, sofern ein Fachlehrer dabei ist. Zudem ist unser Fach Erdkunde/Geographie im Aufgabenfeld B (Gesellschaftswissenschaften) aller allgemeinbildenden Schulen in Deutschland verankert, was bedeutet, dass auch in der Geographie anthropogeographische Themen Dominanz haben. Dennoch sind bodenkundliche Inhalte in vielen Jahrgangsstufen festgelegt, und in sämtlichen Schulbüchern finden sich auch jahrgangs- und sachgerechte Angebote zum Thema Boden.

Allein die tiefergehende Behandlung bleibt sehr begrenzt. Besonders schmerzlich wird dies dann, wenn das Fach im Verbund mit anderen Fächern (vorwiegend Geschichte und Politik-Wirtschaft) unterrichtet werden muss und dadurch die fachlichen Profile erst recht keine Entfaltung finden.

Das Jahr 2015 ist das internationale Jahr des Bodens. Behörden, Institutionen, Gesellschaften usw. haben dazu bundesweit Veranstaltungen geplant und Publikationen vorgelegt. Ist dieses Jahr des Bodens auch in den weiterführenden Schulen angekommen oder hat selbst dieser Anlass keine Auswirkungen auf in den Geographieunterricht?

Dr. Czapek: Leider kommt davon nichts oder nicht genug an der Basis an. Dies ist auch bei anderen Anlässen immer wieder festzustellen. Der Grund hierfür ist sicherlich, dass es beinahe eine Inflation an Sonderthemen gibt, die Schule aufgreifen sollte. Derzeit nehmen wichtige, politisch angesagte Themen wie Inklusion und Diversität einen großen Raum ein und verstellen womöglich den Blick für die Behandlung anderer aktueller Themen.

Das Umweltbundesamt (UBA) in Dessau-Roßlau hat eine Arbeitshilfe für Behörden, Gremien und Verbände online herausgegeben, die in der Bevölkerung zur Verbesserung des Bodenbewusstseins führen soll. Werden Online- und Printpublikationen von Behörden zum Thema Boden von Schulen genutzt oder eher „übersehen“?

Dr. Czapek: Auch hier gilt Gleiches wie zuvor. Die Schulen werden geradezu überschwemmt mit Materialien, Anregungen und Ideen, so dass eine ausgewogene Selektion kaum möglich ist. Viel hängt hier von der Belastbarkeit und Initiative der jeweiligen Lehrkräfte ab, sich dem einen oder anderen Angebot zuzuwenden. Unser Verband stellt sich ständig in den Dienst der Multiplikation externer Angebote, so auch im hier anstehenden Anliegen, aber die Umsetzung obliegt der Situation an jeder einzelnen Schule.

Im Lehrplan Erdkunde des Hessischen Kultusministeriums steht: „Der Erdkundeunterricht fördert und stärkt bei Schülerinnen und Schülern Werthaltungen, die sie in die Lage versetzen, reges Interesse für ihren Lebensraum aufzubringen, aufgeschlossen und tolerant gegenüber den vielfältigen kulturellen Erscheinungen zu sein, die natürlichen Gegebenheiten einerseits und die Verschiedenheit der Lebensbedingungen der Menschen andererseits wahrzunehmen, für die Qualität der Umwelt und den Lebensraum zukünftiger Generationen Verantwortung zu übernehmen, die Bedeutung von Werten und Einstellungen bei Entscheidungsfragen zu verstehen, geographische Kenntnisse und Fähigkeiten im privaten, beruflichen und öffentlichen Leben sachgerecht zu nutzen, sich für die Lösung lokaler, regionaler und internationaler Probleme zu engagieren.“ Bei den meisten dieser Fähigkeiten spielt auch der Boden eine mehr oder weniger herausragende Rolle. Gerade bei älteren Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe II können diese intellektuellen Fähigkeiten vermittelt werden, doch in vielen gymnasialen Oberstufen beispielsweise gibt es keinen Erdkundeunterricht. Wie ist dies zu deuten?

Dr. Czapek: An hehren Zielsetzungen mangelt es nicht. Gute Absichten werden ständig formuliert, postuliert. Allein die Bedingungen limitieren vieles. Hier sind unsere Bildungspolitiker, aber auch die Eltervertretungen aufgerufen, mit dazu beizutragen, dass unsere jungen Menschen einen zeit- und sachgemäßen Erdkundeunterricht in allen Jahrgängen angeboten bekommen, der sie zu kundigen Weltbürgern ausbildet und den vielen ehrenwerten Bekundungen zu nachhaltiger und globaler Erziehung Taten folgen lässt.

Welche Strategien des Verbandes Deutscher Schulgeographen könnten Sie sich vorstellen, um das Thema Boden stärker bei den Kultusministerien und Schulen zu etablieren? Oder wäre dies ein hoffnungsloses Unterfangen?

Dr. Czapek: Keineswegs ist dies ein hoffnungsloses Unterfangen, zumal das Thema Boden ja bereits durch Einflussnahme unseres Verbandes und durch unsere Mitwirkung beim Erstellen der Lehrpläne relativ passabel verankert ist. Was wir verbessern können bzw. sollten, ist weniger die thematische Einbindung als vielmehr die Bewusstmachung, dass die Thematik eben auch eine gesellschaftliche und nicht allein eine naturwissenschaftliche ist. Hierzu helfen Fortbildungsveranstaltungen, wie wir sie beispielsweise in Zusammenarbeit mit Initiativgruppen in der Nachhaltigkeitserziehung veranstalten. Aufrufe hierzu sind immer willkommen und werden in unseren Verbandszeitschriften auf Landesebene auch immer wieder platziert. Wir werden die Thematik aus aktuellem Anlass nun auch auf unserer Homepage www.erdkunde.com prominenter ausweisen.

Kann es auch daran liegen, dass der Boden in der Schule seltener Thema ist, weil die Lehrkräfte zu diesem Thema während des Lehramtsstudiums zu wenig erfahren?

Dr. Czapek: Nach wie vor gehört das Thema Boden v.a. in den naturgeographischen Ausbildungsinhalten zum Studium der Geographie dazu, auch wenn in neuerer Zeit humangeographische Inhalte zunehmend herausgestellt werden. Auch hier hängt es letztlich vom Interesse des Einzelnen ab, inwieweit er sich in die Materie vertieft und sie mit in seinen Lehrerberuf hinein trägt und welche Rahmenbedingungen er dabei überhaupt vorfindet (s.o.).

Wird Boden bei der Lehrerfortbildung thematisiert?

Dr. Czapek: Grundsätzlich ja, aber auch dieser Aspekt hängt von individuellen Angeboten ab. Eine verpflichtende themenbezogene Fortbildung gibt es nicht. Schulgeographen sind aber traditionell und aus dem Sachengagement heraus sehr fortbildungsfreudig und allen Themen gegenüber aufgeschlossen. Die Hauptprobleme sind und bleiben der Zeitfaktor und die Rahmenbedingungen des Arbeitens, denn die Alltagssituation fordert vom Fachlehrer heute mehr denn je fachübergreifende und allgemeinere Erziehungsaufgaben, die die Erfüllung des fachlichen Bildungsauftrags einschränken.

Ahabc.de dankt Herrn Dr. Czapek für die interessanten Antworten und wünscht ihm auch weiterhin viel Erfolg bei seiner Arbeit.