Zai-Loch
Zai-Loch mit Laubfüllung. ©D. Kaiser/Uni Würzburg, Quelle IDW

Bis 2030 soll jeder Mensch Zugang zu ausreichend Nahrung haben, lautet eines der so genannten Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, die dieses Jahr die Millennium-Entwicklungsziele ablösen. Doch trotz wachsender Bevölkerung vernichtet der Mensch eher die zur Nahrungssicherung nötigen Böden. Um zusätzliche Flächen zu erhalten ohne die natürliche Vielfalt zu zerstören, müssen u. a. degenerierte Böden wiederbelebt werden. Das Wissen dafür findet sich oft in alten bereits vergessenen Traditionen. Und die vollbringen oft wahre Wunder, ganz ohne moderne Technologie, aber mit Hilfe der Natur. Eine Würzburger Biologin erforscht, welches enorme Potenzial Bodenlebewesen bei der Restauration völlig ausgetrockneter Böden in Westafrika haben.

Dorkas Kaiser kniet vor einem Gebilde, das auf den ersten Blick an eine getöpferte Skulptur erinnert. Mit einer Schaufel bohrt sie ein Loch in den vermeintlichen Sockel. Heraus quellen Unmengen kleiner weißer Tiere: Termiten. „Die Tiere bauen aus Erde und Speichel eine Art Mantel um abgestorbene Pflanzen herum, um auf der Nahrungssuche nicht auszutrocknen. Darin bewegen sich die Tiere geschützt“, erklärt die Biologin von der Universität Würzburg. Tatsächlich brennt die Sonne hier erbarmungslos vom Himmel, denn Kaiser forscht in der Sahelzone am südlichen Rand der Sahara in Burkina Faso. Ihr Untersuchungsobjekt hat hier wahre Wunder geleistet: Aus völlig verödetem Land wuchs in nur wenigen Jahren ein Trockenwald, Bauern bestellen ihre Hirsefelder, die Menschen haben eine fast völlig verlassene Region wieder bevölkert.

Die Forscherin will herausfinden, wie das möglich war – und was noch möglich sein könnte, wenn die hier weiterentwickelte Zaï-Methode zur Bodenregenerierung Schule machte. Denn verödete Böden gibt es in Afrika massenhaft. Diese wieder nutzbar machen zu können würde einen Segen bedeuten auf der Suche nach neuen Böden, die künftig zur globalen Nahrungssicherung und Armutsbekämpfung gebraucht werden.

Weltweit sind durch nicht-nachhaltige Bewirtschaftung schätzungsweise 20 bis 25 Prozent aller Böden degradiert, und jedes Jahr kommen bis zu zehn Millionen Hektar, rund die Fläche Österreichs, hinzu. Es braucht also neue Flächen. Um seinen Ressourcenhunger zu stillen, erschließt der Mensch immer mehr ursprüngliche Lebensräume, um sie wirtschaftlich zu nutzen. So gehen laut World Resource Institute jährlich 13 Mio. Hektar Wald verloren, was der Größe Englands entspricht. Wüchse die heutige Nachfrage nach Agrarprodukten unverändert weiter, müsste bis 2050 eine zusätzliche Agrarfläche irgendwo zwischen 320 und 850 Millionen Hektar erschlossen werden, schreibt Christine Chemnitz, Referentin für Internationale Agrarpolitik der Böll-Stiftung in ihrem kürzlich erschienenen Bodenatlas. Der niedrigere Wert entspricht der Größe Indiens, der höhere jener Brasiliens.

Dort wo Böden veröden, ziehen die Menschen weg, meist in städtische Ballungsgebiete, was ihre Situation meist nicht gerade verbessert. So war das auch hier auf dem nördlichen Zentralplateau in Burkina Faso, auch Mossi Plateau genannt, wo Dorkas Kaiser ihre Forschung betreibt. Eine landwirtschaftlich wichtige Region, in der rund die Hälfte der Landbevölkerung des ganzen Staates lebt. Zwischen 1968 und 1984 gab es hier jedoch eine extreme Dürreperiode, die die meisten Menschen abwandern ließ. Zurück blieben verödete Böden – und Yacouba Sawadogo, ein armer Bauerssohn, der aber einen starken Willen und eine Vision hatte.

Anfang der 1980er Jahre begann er, das völlig verödete Land, das sein Vater ihm vererbt hatte, nach einer alten Methode zu bearbeiten. Es sollte wieder Wasser halten können, denn durch die harte Kruste war es dem wenigen Regen unmöglich, einzudringen. Vor der Regenzeit begann er, mit der Hacke Tausende von Löchern in den steinharten Boden zu hacken, 30-40 Zentimeter breit, 15-20 Zentimeter tief – Schwerstarbeit in der schattenlosen Hitze. Soweit die traditionelle Methode. Doch er entwickelte sie weiter. Um das Wasser vor dem Abfließen zu bewahren, baute er lange Steinreihen. Danach füllte er die Löcher mit seinem Spezialdünger aus Laub, Dung und Asche und gab zuletzt einige Hirsesamen dazu. Und dann kam das Wunder: Das Wasser blieb, die Hirse gedieh. Schon im ersten Jahr wuchs sie zwei Meter hoch. Dazu keimten aus dem Kompost verschiedene Pflanzenarten und über die Jahre wuchs ein Wald, wo zuvor nie ein Baum gestanden hatte.

Zaï heißt diese Methode. Das Wort ist die Kurzform von zaïégré und bedeutet übersetzt so viel wie: „Steh‘ früh auf und bereite dein Saatbett.“ Und das tun inzwischen viele Bauern in der Region nach dem Vorbild von Yacouba, auch in den Nachbarländern Mali und Niger, vor allem, um Hirse anzupflanzen. Yacouba ist heute über 70 und berühmt als „der Mann, der die Wüste aufhielt“, wie ein erfolgreicher Dokumentarfilm ihn taufte. Er berät die Regierung und wird zu internationalen Konferenzen eingeladen.

Doch was steckte hinter diesem Wunder? Diese Frage trieb Dorkas Kaiser um, als sie vor zehn Jahren im Rahmen des internationalen Forschungsvorhabens BIOTA Westafrika hierher kam. Inzwischen kennt sie Yacouba bestens und inzwischen auch seine Millionen von Helfern, die verschiedenen Termitenarten. Auf den ersten Blick scheint es einfach zu sein: Boden braucht Wasser und Dünger und schon wächst und gedeiht alles. Doch Böden sind nicht einfach ein Substrat, das üppig gedüngt und bearbeitet jedes Jahr aufs Neue üppiges Pflanzenwachstum beschert. Böden sind vor allem Lebensraum und das Produkt von Lebewesen – und zwar einer schier unglaublichen Menge und Vielfalt. Rund ein Viertel aller Arten auf der Erde sind Bodenbewohner. Auf einem Hektar Land leben in temperierten Klimazonen im obersten Meter 15 Tonnen von Bodenlebewesen, was dem Gewicht von 20 Kühen entspricht. Das Gedeihen von Pflanzen, auch Nutzpflanzen, hängt von Milliarden von Bakterien, Pilzen, Würmern, Insekten und anderer Lebewesen ab, die sprichwörtlich den Boden bereiten, denn die nötigen Nährstoffe und Wasser liefert der Boden nur dann, wenn die Bedingungen stimmen. Es sind diese Arten, die totes Material zersetzen und die Nährstoffe für Pflanzen zugänglich machen, den Boden auflockern und umschichten, sodass Wasser und Sauerstoff ihn durchdringen können.

Industrielle Produktionsmethoden missachten dies jedoch weitgehend, mit fatalen Folgen: Der Humusgehalt und damit die Leistungsfähigkeit der Böden sinkt kontinuierlich, auch bei uns. So hätten gesunde Böden in unseren Breiten eigentlich Humusgehalte zwischen 3,5 und 6 Prozent. Die meisten landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen enthalten jedoch lediglich ein bis zwei Prozent Humus, oft sogar weniger. „In diesem Bereich gehen die Ertragsmengen deutlich zurück“, warnt Dr. Hubert Höfer vom Staatlichen Museum für Naturkunde Karlsruhe. Zum Ausgleich wird mit Mineraldünger nachgeholfen. In den letzten 50 Jahren hat sich der weltweite Verbrauch verfünffacht. Dieser Dünger ernährt zwar die Pflanzen, nicht aber die Bodenbewohner, die schlichtweg verhungern, was die Bodenqualität weiter verringert.

Ein weiteres großes Problem ist die Erosion durch Wind und Regen aufgrund fehlender Hindernisse in der Landschaft. Denn der Verzicht auf Randbewuchs und Grünstreifen erleichtert zwar schwerem Gerät das ungehinderte Durchkommen, aber eben auch Wind und Wasser. Durch die halbsaisonal nackten Böden beim Anbau in Monokulturen gehen in Deutschland laut Bundesverband Boden e. V. pro Hektar und Jahr etwa 20 Tonnen fruchtbaren Bodens durch Wind- und Wasserabtrag verloren. Das ist fatal, denn nur maximal eine Tonne Humus pro Hektar wird laut Hans Peter Blume durchschnittlich jährlich neu gebildet. Um Humus neu zu bildend, benötigen die Bodenorganismen sehr lange Zeit. Zehn Zentimeter Humusschicht entstehen in rund 2000 Jahren.

Langsamkeit kann man den Tieren, die Dorkas Kaiser in Burkina Faso untersucht, nicht vorwerfen. Im Gegenteil. „Was diese Termiten innerhalb eines Monats wegschaffen können, ist der helle Wahnsinn“, ist die Forscherin begeistert. Inzwischen ist sie restlos davon überzeugt, dass sie die Schlüsselrolle in Yacoubas Zaï-Methode spielen. Von dem organischen Material in den Löchern werden sie magisch angezogen und versetzen dafür im wahrsten Sinne des Wortes Berge. Kaiser hat auf den verschiedenen Flächen auf Yacoubas Land, im Hirsefeld gleich zu Beginn der Methode, im Jungwald und im Altwald die Bodenstruktur des oberen Meters untersucht. Sie stellte dabei fest, dass größere Steine und Geröll mit der Zeit immer weiter nach unten wandern. Grund dafür ist die enorme Arbeitsleistung der Termiten, die nach und nach kleinere Bodenpartikel an die Oberfläche befördern und so den gesamten Boden umgraben. „Zu Beginn hatte der Boden 70 Prozent Geröllanteil. Nach wenigen Jahren hat sich der Anteil in den oberen 10 bis 25 Zentimetern fast halbiert“, erzählt die Biologin.

Die Termiten erfüllen hier in Afrika eine ähnliche Aufgabe wie in gemäßigten Klimazonen die Regenwürmer: Sie graben um, schaffen Raum für Luft und Wasserspeicherung und verteilen die Nährstoffe im Boden. „Am meisten schaffen die Pilzzüchter weg“, erzählt Kaiser. Die Termiten der Gattung Odontotermes sind die ersten, die sich auf dem degenerierten Boden bei „Futtergabe“ einfinden. Sie züchten auf dem organischen Material in ihren Bauten Pilze, von denen sie sich ernähren. Danach gesellen sich weitere Termitenarten dazu und helfen mit, den Lebensraum auch für andere Tier- und Pflanzenarten attraktiv zu machen. 25 Arten zählte Kaiser im alten Wald alleine an Termiten. Doch die kühlenden Schatten der Bäume haben hier ein eigenes großes Habitat für einen Reichtum an Arten geschaffen.

Zwischen 400 und 700 mm Niederschlag pro Jahr sind die Klimabedingungen, in denen Zaï am besten funktioniert. Diese Bedingungen finden sich in großen Teilen Afrikas. Eine Karte einer Publikation von 1999 (Roose E., Kaboré V., Guenat C.) zeigt, dass rund ein Viertel des Kontinents potenziell für Zaï geeignet wäre.

Solche traditionellen Lösungsansätze zur nachhaltigen Ernährung der Weltbevölkerung mit der Natur und mit den Menschen gibt es viele, oft verborgen im Wissensschatz der lokalen Bevölkerung. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) hat sich deshalb zur Aufgabe gestellt, traditionelles Wissen neben der klassischen Wissenschaft einzubeziehen, um den rapiden Verlust der biologischen Vielfalt und ihrer Leistungen, von denen die Menschen abhängen, zu stoppen. Diese sollen die politischen Entscheidungsträger in aller Welt auf einen einheitlichen neutralen Wissensstand bringen um dauerhafte und gerechte Lösungen der Nutzung zu schaffen. Lösungen wie die von Yacouba bedingen allerdings auch, kleinbäuerliche Strukturen gegenüber großindustriellen Ansätzen zu fördern, was bei der derzeitigen Weltwirtschaftspolitik nicht erkennbar ist.

Die Symbiose zwischen Mensch und Natur hat in Burkina Faso einen wahren Entwicklungsschub möglich gemacht. Das Grundwasser stieg; wo früher für Wasser kilometerweit gegangen werden musste, holen die Menschen heute Wasser aus Brunnen, da die Bäume den Regen halten. Die zuvor verarmte Bauernregion bietet heute wieder eine Lebensperspektive für Frauen und ist inzwischen wieder erfreulich bevölkert. Weiterhin ernten Yacouba und seine Familie genug Hirse, um sie zu verkaufen. In einem der Wälder züchtet der Alte darüber hinaus Heilpflanzen.

Eines von Yacoubas Geheimnissen jedoch konnte Dorkas Kaiser mit ihrer Forschung nicht lüften: Warum schleppen die Termiten nicht auch die Hirsesamen in ihre Bauten? Auch hierfür hat Yacouba einen Trick gefunden, wie er ihr gestand. In diesem Fall allerdings einen weniger natürlichen: Er tränkt die Samen zuvor in Batteriesäure.

Sebastian Tilch, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ