Regenwurm
Lumbricus terrestris. ©Elisabeth Neubert, Ulfert Graefe

Görlitz. Die Wissenschaftlerin Dr. Ricarda Lehmitz vom Senckenberg Forschungsinstitut hat erstmals eine Inventur aller Regenwurmarten Deutschlands durchgeführt. Hierfür bearbeiteten sie und ihre Kollegen 16.000 Datensätze. Insgesamt gibt es 46 verschiedene Regenwurmarten in der Bundesrepublik, aber nur eine Art kann als endemisch (ausschließlich in Deutschland vorkommend) bezeichnet werden. Die Artenvielfalt der Wenigborster nimmt außerdem von Norden nach Süden zu. Die „Regenwurm-Checkliste“ ist kürzlich im Fachjournal „Zootaxa“ erschienen.

Sie fressen sich durch die Erde, leben in engen Röhren und Gängen und tragen erheblich zur Bodenqualität bei: Unter einem Quadratmeter Wiese können – je nach Bodenart – zwischen 100 und 400 Regenwürmer leben. Doch Wurm ist nicht gleich Wurm – am Senckenberg Forschungsinstitut in Görlitz wurde nun erstmals eine komplette Auflistung aller Regenwurmarten in Deutschland vorgenommen. „Es gibt 46 Arten von Regenwürmern bei uns“, erzählt Dr. Ricarda Lehmitz, Leiterin der Sektion Oribatida am Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz und Leitautorin der Studie. Sie hat gemeinsam mit Wurmexperten aus Deutschland 16.000 Datensätze ausgewertet, um die „Regenwurm-Checkliste“ zu erstellen.

„Ein Datensatz steht für einen Regenwurmfund an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit“, erklärt Lehmitz und ergänzt: „Die Daten stammen aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Sammlungen, Diplom- und Doktorarbeiten, aber auch von Privatpersonen aus den letzten 100 Jahren.“ Profitiert haben die Bodenzoologen dabei von der Online-Datenbank „Edaphobase“ – ein öffentliches, bodenzoologisches Informationssystem mit knapp 500.000 Datensätzen bodenlebender Tiere.

Unter den 46 Arten der gegliederten Würmer befindet sich nur eine echte endemische Art: „Nur Lumbricus badensis, der ‚Badische Riesenregenwurm‘ kann als endemisch bezeichnet werden – ihn gibt es ausschließlich in Deutschland“, erläutert die Görlitzer Wissenschaftlerin. Der bis zu 60 Zentimeter lange Wurm hat sich im südlichen Schwarzwald eine ökologische Nische geschaffen. „Wir nehmen an, dass sich andere Regenwürmer in den relativ sauren Böden nicht wohl fühlen“, fügt Lehmitz hinzu.

Grüner Regenwurm
Apporectodea smaragdina. Der grüne Wurm wurde bisher nur in den Bayerischen Alpen gefunden. ©Ulfert Graefe

Zu einer der häufigsten Arten gehört Lumbricus terrestris, der Gemeine Regenwurm oder Tauwurm, „diese Art finden wir in allen Teilen Deutschlands“, vervollständigt Lehmitz. 41 Prozent der Würmer „wandern“, das heißt sie haben sich nach der letzten Eiszeit in Deutschland ausgebreitet oder alte Besiedlungsgebiete wieder eingenommen. „Vier dieser 19 Arten haben wir nur in menschennahen Umgebungen, wie in Komposthaufen gefunden. Diese Arten werden häufig mit Erde oder Blumenzubehör weltweit durch den Menschen verbreitet“, erzählt die Senckenbergerin. Die restlichen 27 Arten bleiben in der Regel „ortstreu“.

Und noch ein weiteres spannendes Detail haben die Wissenschaftler herausgefunden: Die Artenvielfalt der Regenwürmer nimmt von Norden nach Süden zu. Dieser Trend entspricht auch der europäischen Verteilung von Regenwurmarten. Grund hierfür ist die letzte Kaltzeit, welche vor etwa 115.000 Jahren begann und vor 11.700 Jahren endete. Lehmitz hierzu: „Als die Gletscher sich zurückgezogen haben, konnten sich die Würmer vom Süden ausgehend wieder ausbreiten. In Deutschland gibt es 14 Arten, die nur in den südlichen Bundesländern vorkommen.“

Die Görlitzer Bodenzoologin will aber nicht ausschließen, dass sich in einigen Gebieten Deutschlands weitere Arten finden lassen: „Besonders im Alpenraum und in speziellen Lebensräumen wie an Flussufern gibt es noch Nachholbedarf bei der Regenwurminventur.“ Und auch neue genetische Untersuchungen bringen nicht selten verborgene Arten ans Licht. Sogar der wohl am gründlichsten erforschte Lumbricus terrestris wurde 2010 aufgrund einer DNA-Analyse in zwei – morphologisch nicht unterscheidbare – Arten unterteilt.

„Die Bestandsaufnahme der Regenwurm-Arten ist eine wichtige Basis für unsere weitere Arbeit. Als nächstes werden wir eine Gefährdungseinschätzung der Würmer in einer „Rote Liste“ veröffentlichen“, gibt Lehmitz einen Ausblick auf ihre Forschung.

Kontakt
Dr. Ricarda Lehmitz Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz Sektion Oribatida
Tel. 03581-4760-5570
ricarda.lehmitz@senckenberg.de

Judith Jördens Pressestelle Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Tel. 069- 7542 1434
pressestelle@senckenberg.de