Boden
Wer denkt beim Thema „Umweltbewusstsein“ an den Bodenschutz? ©Alexander Stahr

Boden ist ein äußerst komplexes, offenes System im Naturhaushalt. Ohne Boden ist höheres Leben an Land nicht möglich. Durch vielfältige Eingriffe und Belastungen durch den Menschen ist Boden jedoch zu einer stark gefährdeten Ressource geworden. Ein Grundsatz in der Bodenkunde lautet: Boden kann nicht vermehrt werden, zumindest nicht in vom Menschen überschaubaren Zeiträumen. Da er aber ein wichtiger Teil unserer Umwelt ist, verwundert es umso mehr, dass kaum jemand an ihn denkt, wenn es um das Thema Umweltbewusstsein geht. Wer umweltbewusst lebt, der spart Wasser und Ökostrom, kauft regional ein, trennt penibel den Müll, verzichtet auf unnötige Verpackungen, geht mit dem Korb oder der Stofftüte einkaufen, isst wenig Fleisch und keine gefährdeten Fischarten, fährt mit dem Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln, achtet auf Fairtrade-Produkte, ungespritztes Obst und Gemüse, macht Ferien im eigenen Land. Aber denkt jemand dabei an Bodenschutz? Wohl eher nicht. Dies ist der Grund dafür, dass dem Umweltbewusstsein ein Bodenbewusstsein beiseite gestellt werden muss – leider.

Aktivitäten zur Bewusstseinsbildung

Bodenkundliche Exkursion
Die Zuhörer bei Vorträgen und die Teilnehmer an Exkursionen zum Thema Boden sind in der Mehrzahl ebenfalls vom Fach oder zumindest bodenkundlich-naturkundlich interessierte Personen. Der Großteil der Bürger, Lehrer und Schüler wird kaum erreicht, wenngleich die Medien informieren und zur Teilnahme an Veranstaltungen aufrufen. ©Alexander Stahr

Um dieses zu schärfen, wird von Fachleuten in Ämtern und Behörden, bodenkundlichen Gesellschaften, Universitäten sowie von bodenkundlich ausgebildeten oder interessierten Privatpersonen einiges unternommen, nicht nur im deutschsprachigen Raum. Um jedes Jahr ein Zeichen für die Bedeutung der Ressource Boden zu setzen, wurde im Jahr 2002 der 5. Dezember von der International Union of Soil Sciences (IUSS) zum World Soil Day (Weltbodentag) ernannt. Seit 2004 wird an diesem Datum im deutschsprachigen Raum auch der „Boden des Jahres“ für das darauffolgende Jahr vorgestellt. Mit Flyern, Vorträgen, Exkursionen und anderen Aktionen möchte man auf den Boden und seine Bedeutung aufmerksam machen. Der Haken: Die Zuhörer bei Vorträgen und die Teilnehmer an Exkursionen sind in der Mehrzahl ebenfalls vom Fach oder zumindest bodenkundlich-naturkundlich interessierte Personen. Der Großteil der Bürger, Lehrer und Schüler wird kaum erreicht, wenngleich die Medien informieren und zur Teilnahme an Veranstaltungen aufrufen.

Ein weiterer Versuch ein Bodenbewusstsein in der Bevölkerung zu etablieren, setzt bei den jungen Menschen an. Zu nennen sind etwa die Kinderuni und naturwissenschaftliche Experimente in Kindergärten, Schulen oder Ferienbetreuungen, die u. a. von zahlreichen Freiberuflern in den vergangenen Jahren vermehrt angeboten wurden. Diese frühkindliche Bildung rund um Naturwissenschaften und Umwelt, die auch hier und da den Boden miteinbezieht, scheint jedoch auch wenig hilfreich.

Experimente zum Boden
Experimente zum Thema Boden für junge Menschen tragen wenig zu einem Bodenbewusstsein im Erwachsenenalter bei. ©Alexander Stahr

Denn spätestens im Teenageralter sind alle pädagogischen Bemühungen der frühkindlichen Umweltbildung in Kindergärten, Kinderunis und Grundschulen, den Boden durch allerlei Experimente als wichtiges Ökosystem und Lebensgrundlage von Mensch, Tier und Pflanze in das Bewusstsein von Kindern zu rücken, für die ehemals Kleinen nur noch wage Erinnerung, wenn überhaupt. Da war irgendetwas mit dem Regenwurm und dem Boden. Oder? Ein nachhaltig wirkendes Bodenbewusstsein schon bei Kindergarten- und Grundschulkindern mit allerlei Experimenten zu erwecken, ist nämlich ein aussichtsloses Unterfangen. Denn die „Faszination Boden“ ist einerseits nur eine äußerst kurze, meist einmalige Episode im Kindergarten- oder Grundschulalltag. Andererseits ist der Intellekt im Kindesalter, das Verständnis um komplexe Zusammenhänge noch weit entfernt davon, Boden und seine Funktionen tatsächlich zu begreifen. Das fällt – mit Verlaub – selbst manch einem Studenten der Geowissenschaften schwer. Was die Kinder bei Experimenten rund um den Boden begeistert, ist der momentane Spaßfaktor: Wasser, Matsch und Krabbeltiere. Ein Bodenbewusstsein entwickelt sich hierbei sicherlich nicht, es fehlt vor allem auch die Kontinuität.

Bohrstock einschlagen
Ob das Spuren bis zum Erwachsensein hinterlässt, ist fraglich. Höchstens schmerzhafte, wenn es schiefgeht. Und das trägt sicherlich eher zu einem unerwünschtem Bodenbewusstsein bei. ©Alexander Stahr

Wer sich als Jugendlicher dennoch in irgendeiner Art und Weise für Boden interessiert, sei es im stark vernachlässigten Erdkundeunterricht an deutschen Schulen oder weil die Eltern vielleicht schon immer Leckeres aus dem eigenen Garten servierten, der zählt zu einer äußerst seltenen Spezies. Dabei sei angemerkt, dass Erdkundelehrer oft nicht über das notwendige bodenkundliche Grundlagenwissen verfügen, um die Bedeutung des Bodens zu vermitteln. Von dieser seltenen Spezies an Jugendlichen wenden sich später doch noch viele geistig völlig vom Boden ab. Das Engagement beim anderen Geschlecht, im Semesterferienjob, im Tier- und Umweltschutz, die Mitgliedschaft im BUND, NABU und bei Greenpeace erfordert neben dem Jura-, Architektur-, Informatik- oder Soziologiestudium höchsten zeitlichen und emotionalen Einsatz.

Nur ein relativ geringer Prozentsatz an Studierenden wendet sich mit oder ohne frühkindliche Umweltbildung dem Boden zu und entwickelt ein intensives Bodenbewusstsein. Gemeint sind diejenigen, die hin und wieder mit Leib und Seele schwere Eisenstangen mit überdimensionalen Hämmern in den Boden rammen, um Dreck zu ernten: Studierende der Physischen Geografie, Bodenkunde, Forstwissenschaft und verwandter Wissenschaften. Natürlich sind auch angehende Landwirte und Gärtner in den Kreis derer miteinzubeziehen, die ein bestimmtes Bodenbewusstsein entwickeln. Die Gründe, warum Boden hingegen in der breiten Öffentlichkeit, aber auch zumeist in der Politik und in den Medien nicht als wichtiges Gut wahrgenommen wird, sind vielfältig. Und daran scheint der Boden sogar selbst schuld zu sein.

Böden verstecken sich

Böden sind von dreidimensionaler Natur. In der Regel sieht man aber nur die mehr oder weniger von Vegetation bewachsene Oberfläche. Das ist für den nicht Pedophilen eher langweilig und äußerst uninteressant. Man sieht keine Farbenspiele oder etwa ästhetisch anmutende, auffällige Strukturen wie dies hin und wieder Felswände und Gesteine offenbaren. Und so verwundert es auch nicht, dass es von Amtes wegen keine Pedotope im Sinne der Geotope gibt.

Seine Bewohner schrecken ab

Regenwurm
Die Tiere des Bodens erzeugen bei vielen erwachsenen Menschen Ekel und Abscheu. ©Alexander Stahr

Böden erwecken keine Emotionen wie Tiere oder Pflanzen. Sie werden von der überwiegenden Mehrheit nicht als schön, faszinierend oder gar niedlich empfunden. Im Gegenteil: Die Tiere des Bodens erzeugen bei vielen erwachsenen Menschen eher Ekel und Abscheu. Damit sind nicht Hamster, Erdmännchen und Co. gemeint, sondern Würmer, Asseln und andere kriechende und krabbelnde Wesen unter unseren Füssen. Würde man jedoch Tiere objektiv nach ihrem Wert und Nutzen beurteilen, so wäre ein Regenwurm um unendlich viel bedeutender und wertvoller als z. B. ein Rind. Das Hausrind braucht niemand, Veganer schon gar nicht, aber Veganer brauchen den Wurm im Boden, womit der Exkurs erlaubt sei, dass die Existenz eines echten Veganismus ohne Hydrokultur aufgrund dieser Tatsache grundsätzlich in Frage gestellt werden muss.

Böden sind dreckig

Für viele Menschen ist Boden mit Schmutz verbunden – einfach Dreck. Wobei diese Verbindung vornehmlich in urbanen Räumen durch die Köpfe kreist und sich mit zunehmender Technisierung und Urbanisierung ausbreitete. Interessanterweise trifft dies nicht für den Begriff „Mutterboden“ zu. Vielleicht auch deshalb, weil es sich nicht um Boden, sondern um ein Substrat handelt. Und wer würde schon die Mutter mit Dreck in Verbindung bringen? Das Wort „Mutterboden“ ist somit positiv belegt. Während Wasser und Luft unmittelbar als lebenswichtig, als Quelle der Gesundheit und Schönheit wahrgenommen werden und deren Belastung durch Schadstoffe von jedermann als äußerst bedrohlich empfunden wird, sieht das beim Boden ganz anders aus. Ein Grund dafür mag sein, dass sich Bodenbelastungen, sieht man einmal von mechanischen ab, durch Pufferprozesse nur sehr langsam bemerkbar machen. Die Gurke macht daher erst auf dem letzten Drücker schlapp. Der einzige Bodentyp, der Gesundheit und Wellness dient, ist das Moor. Doch würde ein Mediziner „Moor“ mit Boden in Verbindung bringen?

Böden werden als Nutzflächen angesehen

Berlin
In den Städten hat Boden für die Mehrzahl der Bevölkerung keine Bedeutung. ©Alexander Stahr

In den Städten hat Boden für die Mehrzahl der Bevölkerung keine Bedeutung. Man sieht ihn kaum und wenn, dann erscheint er z. B. auf Brachflächen vielen Zeitgenossen noch hässlicher als draußen im Walde oder auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Klar, kommunale Brachen sind beliebte Abfallentsorgungsstätten. Ein Lichtblick hinsichtlich eines verstärkt aufkeimenden Bodenbewusstseins hätte das „Urban Gardening“ sein können. Doch auch hier spielt leider nur das Substrat die Hauptrolle. In der Regel ist Boden in der Stadt eine zweidimensionale Nutzfläche, die z. B. als Spekulationsobjekt dient und erst beim Ausheben der Baugrube ihren dreidimensionalen Charakter preisgibt. Aber wer außer dem Bauleiter und dem Baggerfahrer schaut schon dorthin?

Boden soll geschützt werden

Interessant erscheint im Zusammenhang mit Bodenbewusstsein der Umstand, dass erste Verfahren zur Wassergesetzgebung im 19. Jahrhundert eingeleitet wurden (z. B. Herzogtum Braunschweig 1849-1851), das Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) hingegen erst 1999 inkraftgetreten ist.

„Boden ist erst sehr spät zum unveräußerlichen Gut befördert worden. Luft und Wasser hatten sich längst im Gedächtnis und Lebensgefühl der Bevölkerung etabliert und profitierten von der ökologischen Aufbruchsstimmung der 80er und 90er Jahre. Für den Spätstarter „Boden“ blieb in der Umweltnachschleppphase nur noch wenig Schwung. Boden wird nicht wahrgenommen, er ist selbstverständlich. Man schmeckt und riecht ihn nicht, und er schreit auch nicht bei Misshandlung oder Zerstörung. Er nimmt auch keine bedrohlichen Farben an, jedenfalls gelten betongrau und asphaltschwarz ganz offensichtlich nicht als beängstigend“ (Sabel 2003).

Doch selbst das Bundesbodenschutzgesetz wird samt der Bodenschutzgesetze der Länder offenbar nicht ernst genommen. Zu diesem Schluss kommt man zwangsläufig, sieht man sich nur auf öffentlichen und privaten bundesdeutschen Baustellen um. Selbst Kommunen lassen unbeliebte, weil Kosten verursachende, illegal auf städtischen Grundstücken abgelagerte Aushubmassen mit Rückständen von Schwarzdecken, Betonbruchstücken und sonstigem (vielleicht kontaminiertem) Bauschutt wie von Geisterhand verschwinden. Man modelliert das Gelände – natürlich unter strenger fachlicher Aufsicht eines kompetenten Landschaftsarchitekten.

Es ist zu bezweifeln, dass sich die Wahrnehmung des Bodens in der Öffentlichkeit in Gestalt eines ausgeprägten Bodenbewusstseins in naher Zukunft stärker etablieren wird. Auch das internationale Jahr des Bodens 2015 wird dazu nichts Entscheidendes über Fachkreise hinaus beitragen. Die Wahrnehmung von Boden als überaus bedeutendes Ökosystem wird auch 2016, 2017 und 2018 in krassem Gegensatz zu dessen Bedeutung stehen. Man denke an den Regenwurm und das Rind!

Lichtblicke?

Bodenprofile
Lackprofile können als Kunstwerke Menschen für Boden interessieren und ein gewisses Bodenbewusstsein wecken. ©Alexander Stahr

Zwei Dinge könnten der Verbreitung eines Bodenbewusstseins über die Fachwelt hinaus zumindest einen winzigen Anschub geben, wenngleich auch nur in bestimmten Gesellschaftskreisen: Genuss und Kunst. Die Rede ist vom Terroir und der Ästhetik des Zusammenspiels von Farben und Strukturen des Bodenprofils. Lackabzüge von spektakulären Bodenprofilen (z. B. Podsole, Böden mit Eiskeilen oder anderen kryogenen Strukturen) können zu faszinierenden Bildern verarbeitet und in Vernissagen einem breiten Publikum als Soil Art vor Augen geführt werden, was verschiedene Künstler im Inn- und Ausland bereits praktizieren.

Das Terroir, der Einfluss der Standortfaktoren, der lokalen Gegebenheiten und Bewirtschaftung auf die Qualität eines Agrarproduktes, gewinnt für die Vermarktung eines Weines als Qualitätsstrategie von Weingütern oder Winzergenossenschaften immer mehr an Bedeutung. Insbesondere dem Boden kommt dabei neben zahlreichen anderen Faktoren eine entscheidende Rolle zu. Nach Sittler (1995) besteht z. B. folgender Zusammenhang zwischen Boden und Geschmacksempfinden (Sensorik): Tonreiche Böden = Körper, kalkreiche Böden = Weichheit, sandreiche Böden = Säure, Lebendigkeit. Auf dem Buchmarkt gibt es inzwischen zahlreiche Sachbücher zum Thema Wein und Terroir. Mit dem Begriff Terroir besteht also ebenfalls eine Chance, den Boden zumindest dem Weinliebhaber näher zu bringen und somit in bestimmten Kreisen ein gewisses Bodenbewusstsein zu entwickeln. Dieses könnte noch intensiviert werden, stünde auf Werbebroschüren, Flyern und Internetseiten von Weingütern zum Thema Terroir nicht nur Schieferboden, Kalkboden oder Lössboden, sondern der konkrete Bodentyp oder gar die Bodenform der Lage. Am besten gut sichtbar auf dem Etikett von Weinflaschen. Würde man das Terroir als Prädikat auch auf viele andere landwirtschaftliche Produkte übertragen, so wäre die Chance um ein vielfaches größer, den Boden ins rechte Licht zu rücken, um ein allgemeines Bodenbewusstsein zu etablieren.

Literatur

Sabel, K. J. (2003): Zwei Unterrichtsprojekte zum Thema Boden.- In: „Unter den Füßen – aus dem Sinn?“ Boden(schutz) in Bildung und Öffentlichkeitsarbeit, Heft 5, Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie [Hrsg.]; Wiesbaden.

Sittler, C. (1995): „Wein auf Stein“ oder „Vom Stein zum Wein“ – Beziehungen von Rebsorte zu Gesteinslage und Wein-Eigenart im Gebiet Barr-Andlau (Elsaß, Frankreich).- Jber. Mitt. Oberrhein. Geol. Ver: 223-240.