Wie verändert der Verlust von Arten die Ökosysteme?
Bad Lauchstädt. Mit einem Festakt ist am Mittwoch das iDiv-Ecotron als eine zentrale Versuchsplattform des DFG-Forschungszentrums iDiv in Betrieb genommen worden. Mit der in ihrer Art einmaligen Anlage wollen Forscher die Folgen des Artenschwundes besser verstehen. In 24 Versuchskammern können künftig unter kontrollierten Bedingungen die Wechselwirkungen der Nahrungskette zwischen Pflanzen, Tieren, Mikroben und Boden untersucht werden. Dazu wurden über 3,7 Millionen Euro in eine moderne Plattform investiert, die vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig und dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) gemeinsam betrieben wird.
Das iDiv-Ecotron bereichert die Feldversuchsstation des UFZ in Bad Lauchstädt, die durch diese Kooperation von UFZ und iDiv weiter an nationaler und internationaler Bedeutung als ökologische Forschungsplattform gewinnt.
Grundlagenforschung mit hoher gesellschaftlicher Relevanz
Durch den Artenschwund verliert die Menschheit biologische Vielfalt. Schätzungen zufolge sterben allein bei den wirbellosen Tieren jeden Tag zahlreiche Arten aus. Was bedeutet dies für das Funktionieren von Ökosystemen? Klar ist: Eine hohe Artenvielfalt wirkt sich positiv auf zahlreiche Funktionen von Ökosystemen aus. So erhöht zum Beispiel eine große Zahl von Pflanzenarten die Produktion von Biomasse wie Heu und Holz oder die Speicherung von klimawirksamem Kohlenstoff im Boden. Das zeigen Experimente von verschiedenen Forschungsplattformen wie dem Jena-Experiment oder den Biodiversitätsexploratorien der Deutschen Forschungsgemeinschaft, an denen auch Forscher von iDiv und UFZ beteiligt sind.
Wenig bekannt ist jedoch über die Rolle von kleinen Pflanzenfressern (z.B. Schnecken oder Raupen), Räubern (z.B. Marienkäfer oder Spinnen) oder unterirdisch lebenden Tieren (z.B. Regenwürmer oder Fadenwürmer) und Mikroorganismen (z.B. Bakterien oder Pilze). Man weiß, dass diese Lebewesen eine wichtige Rolle im Nahrungsnetz spielen und zahlreiche Funktionen von Ökosystemen positiv beeinflussen. Bestäuber wie Bienen und Hummeln zum Beispiel sind unverzichtbar für die Vermehrung zahlreicher Pflanzenarten. Andere Insekten wie Ameisen helfen Pflanzen bei der Verbreitung ihrer Samen. Zersetzer wie Regenwürmer und Bodenmikroorganismen recyceln Nährstoffe für Pflanzen. Doch solche Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Arten wurden bisher nur in Einzelfällen näher untersucht. Dies wollen Forscher mit der neuen Forschungsplattform ändern. Das iDiv-Ecotron soll dabei helfen, herauszufinden, welche Auswirkungen das Verschwinden von Arten an verschiedenen Stellen der Nahrungsnetze auf das Funktionieren von Ökosystemen hat. Diese biologische Grundlagenforschung hat weitreichende ökonomische Relevanz: Funktionierende Ökosysteme sind die Basis für eine Reihe von so genannten Ökosystemleistungen wie die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser, Nahrungsmitteln oder Energieträgern, die die Natur den Menschen zur Verfügung stellt. So schätzen UFZ-Wissenschaftler den weltweiten ökonomischen Nutzen, den Insekten durch die Bestäubung von Kulturpflanzen in der Landwirtschaft schaffen, auf etwa 150 Milliarden Euro pro Jahr. Für andere Tiere oder die Mikroorganismen sind solche Schätzungen bisher noch sehr schwer möglich.
Wie viele Verluste verkraften die Ökosysteme?
Sind viele Arten vorhanden, dann hat das positive Effekte auf die Ökosysteme. Was geschieht aber, wenn einzelne Arten in großen Nahrungsnetzen verschwinden? Kann ihre Funktion von anderen Arten übernommen werden? Wie viele Verluste vertragen Ökosysteme? In den iDiv-Ecotron-Kammern wird das Nahrungsnetz in all seiner Komplexität unter die Lupe genommen. Dazu können die Forscher in den geschlossenen Systemen bestimmte Tier- und Pflanzenarten austauschen oder ganz entfernen. „So können wir beispielsweise das Zusammenspiel und die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arten oberhalb und im Boden untersuchen“, erklärt Prof. Nico Eisenhauer (iDiv und Universität Leipzig), der die Anlage leitet. „Ähnlich einer Klimakammer, in der das wärmere Klima der Zukunft simuliert wird, ermöglicht uns das iDiv-Ecotron einen Ausblick auf eine künftige Welt mit weniger Arten.“
Schlüsselfragen des Zusammenlebens
Dabei wollen Eisenhauer und seine Kollegen drei Schlüsselfragen untersuchen:
Beeinflusst die Komplexität der Interaktionen zwischen den Arten die Funktionen eines Ökosystems? Wie hängen Ökosystemfunktionen von den Beziehungen zwischen oberirdischen und unterirdischen Lebewesen und Prozessen ab? Welche Auswirkungen hat der globale Wandel auf Biodiversität, Interaktionsnetzwerke und Ökosystemfunktionen? Diese ökologischen Fragen sind von weitreichender Bedeutung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat daher die Anlage mit rund drei Millionen Euro gefördert und finanziert zwei Mitarbeiter. Finanziell beteiligt sich ebenfalls das UFZ, das für eine dreiviertel Million Euro die Halle für das iDiv-Ecotron modernisiert hat und einen weiteren Mitarbeiter finanziert.
Einzigartige Hightech-Anlage
Das Ziel der Experimentalkammern ist es, Ökosystemfunktionen durch die Manipulation von komplexen Lebensgemeinschaften zu erforschen. Die Umweltbedingungen müssen möglichst konstant sein, um störende Einflüsse auszuschließen, die die Ergebnisse verfälschen könnten. Die 24 Kammern sind daher alle identisch aufgebaut und verfügen über umfangreiche Technik, mit der Licht, Temperatur und Niederschlag eingestellt werden kann. Zum ersten Mal wird es damit möglich sein, oberirdische und unterirdische Gemeinschaften und deren Zusammenspiel auf relevanten Größenskalen zu manipulieren. Die „EcoUnits“ sind Versuchskammern, die aus einem mit Boden gefüllten Unterteil, einem Oberteil sowie einem technischen Aufsatz bestehen und 1,55 × 1,55 Meter breit sowie 3,20 Meter hoch sind. Durch oberirdische Trennwände und unterirdische Stahlzylinder (Lysimeter) kann eine „EcoUnit“ in bis zu vier weitestgehend unabhängige Abteile unterteilt werden. Alle Kammern sind mit umfangreicher Technik ausgestattet. Dazu gehört beispielsweise, dass die Interaktionen zwischen Tieren und Pflanzen per Kamera beobachtet werden. „Da eine solche Anlage noch nicht gebaut wurde, haben wir in den vergangenen Monaten zusammen mit den Herstellern viel Zeit in die Entwicklung und Optimierung der Technik investiert. An einigen Stellen mussten wir Neuland betreten, was oft nicht einfach war. Umso glücklicher sind wir, dass jetzt alles läuft und die wissenschaftlichen Experimente endlich beginnen können“, berichtet Dr. Manfred Türke von iDiv und der Universität Leipzig, der die Arbeiten an der Anlage koordiniert. Nach der Pilotphase wird die Anlage auch externen Wissenschaftlern zur Verfügung stehen. Eine Kommission wird künftig über Anträge entscheiden und die Kapazitäten vergeben – wie es bei wissenschaftlichen Großgeräten von internationaler Bedeutung üblich ist.
Bad Lauchstädt als international renommierte Versuchsstation
Das iDiv-Ecotron bereichert die Feldversuchsstation des UFZ in Bad Lauchstädt, die durch diese Kooperation von UFZ und iDiv weiter an nationaler und internationaler Bedeutung als ökologische Forschungsplattform gewinnt: Neben einer Vielzahl von Experimenten in den Bereichen Boden- und Biodiversitätsforschung betreibt das UFZ dort seit 2013 mit der Global Change Experimental Facility (GCEF) ein weltweit einzigartiges Freilandexperiment, in dem auf sieben Hektar Versuchsfläche die Folgen von Klimaveränderungen auf unterschiedliche Formen der Landnutzung untersucht werden. „Die Versuchsstation Bad Lauchstädt mit einer Gesamtfläche von rund 40 Hektar hat sich bereits in den letzten Jahren unter Ökologen mit verschiedensten Experimenten einen Namen gemacht. Durch die Zusammenarbeit mit iDiv bekommt die Station jetzt noch einen zusätzlichen Schub. „Und dabei haben viele Experimente gerade erst angefangen“, freut sich Prof. François Buscot, als Leiter des UFZ-Departments Bodenökologie mitverantwortlich für die UFZ-Versuchsstation Bad Lauchstädt, und stellvertretender Direktor von iDiv. Zu den neuen Experimenten gehören drei Plattformen: das Baumdiversitätsexperiment MyDiv, die globale Forschungsinitiative zur Untersuchung von Veränderungen in der Nährstoffverfügbarkeit NutNet und das globale Netzwerk Drought-Net zur Untersuchung der Auswirkungen von extremer Dürre. Das iDiv-Ecotron ergänzt diese Feldexperimente in Bad Lauchstädt und macht so die Biodiversitätsforschung in Mitteldeutschland ab sofort um ein bedeutendes Highlight reicher.
Ansprechpartner:
Tilo Arnhold, Dr. Volker Hahn
iDiv Medien und Kommunikation
Tel.: +49 341 9733 -109, -154
Internet
iDiv ist eine zentrale Einrichtung der Universität Leipzig im Sinne des § 92 Abs. 1 SächsHSFG und wird zusammen mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Friedrich-Schiller-Universität Jena betrieben sowie in Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ.
Beteiligte Kooperationspartner sind die folgenden außeruniversitären Forschungs-einrichtungen: das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ, das Max-Planck-Institut für Biogeochemie (MPI BGC), das Max-Planck-Institut für chemische Ökologie (MPI CE), das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI EVA), das Leibniz-Institut Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ), das Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie (IPB), das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) und das Leibniz-Institut Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz (SMNG). www.idiv.de
Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg mehr als 1.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert. www.ufz.de
Quelle: IDW
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