Landnutzungsänderungen in Nordkasachstan
In den kommenden Jahrzehnten muss die globale Landwirtschaft die Produktion von Futtermitteln, Lebensmitteln und Bioenergie beträchtlich erhöhen, um die stetig steigende Nachfrage zu bedienen. Jedoch werden die meisten fruchtbaren Böden bereits als Anbauflächen genutzt und die durchschnittlichen Erträge stagnieren. Gleichzeitig ist die Aufgabe von landwirtschaftlichen Nutzflächen in vielen Teilen des nördlichen Eurasiens, wie z. B. in der kasachischen Steppenregion in Zentralasien, infolge von postsozialistischen Wirtschaftskrisen zu einem weitverbreiteten Phänomen geworden.
Laut offiziellen Statistiken wurden in der ehemaligen Sowjetunion nach 1991 ungefähr 60 Millionen Hektar (Mha) Ackerland aufgegeben und die Rekultivierung dieser aufgegebenen Ackerflächen könnte die landwirtschaftliche Produktionsmenge beträchtlich erhöhen. Wir haben diese Hypothese in Kasachstan genauer untersucht, wo rund 19 Mha oder 54 Prozent des Ackerlands im Zeitraum von 1991 bis 2000 aufgegeben wurden. Nach dem Jahr 2000 kam es im Zuge von politischen Reformen und einer allgemeinen wirtschaftlichen Erholung zu Rekultivierungen von stillgelegten Flächen. Allerdings wurden 2010 offiziellen Statistiken zufolge nach wie vor 14 Mha ehemaligen sowjetischen Ackerlandes in Kasachstan nicht genutzt. Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass nur ein kleiner Teil dieser brachliegenden Flächen für den Nutzpflanzenbau geeignet ist.
Kasachstan ist besonders interessant, da es sich um das ehemalige Kerngebiet des mit Nachdruck vorangetriebenen sowjetischen Ausweitungsprogramms von landwirtschaftlichen Flächen handelt, das allgemein unter der „Neulandkampagne“ bekannt wurde. Im Rahmen dieses Programms wurden in den Jahren von 1954 bis 1963 etwa 45 Mha Steppengrasland in Ackerland vorwiegend für Getreideanbau umgewandelt, wovon sich etwa die Hälfte in Kasachstan befand. Mit Hilfe historischer Karten, die die Ausdehnung des Ackerbaus in den Jahren 1953 und 1961 während der „Neulandkampagne“ aufzeigen, sowie durch Satellitenaufnahmen aus den Jahren 1990, 2000 und 2010 rekonstruierten Roland Krämer und Alexander Prishchepov vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) und Kollegen, die Landnutzungsdynamik von 1953 bis 2010 für einen Teil (etwa 1/3) der nordkasachischen Provinz Kostanai, die ein Kerngebiet des nicht bewässerten Getreideanbaus in Kasachstan darstellt. Die Analyse ergab für die Jahre 1954 bis 1990 eine sechsfache Ausweitung der Anbauflächen (von 0,5 auf 3,1 Mha), der von 1990 bis 2000 eine drastische Landaufgabe folgte, wodurch die Fläche kultivierten Ackerlandes um 45 Prozent zurückging. Nach 2000 kam es in vergleichbarem Umfang sowohl zu Landstilllegungen, als auch zu Rekultivierungen, jedoch mit einer unterschiedlichen räumlichen Verteilung.
Laut Krämer und Prishchepov war „die massive Landaufgabe nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion keine Überraschung, da wir ähnliche Prozesse in anderen postsozialistischen, sowjetischen und osteuropäischen Ländern beobachtet hatten. Überraschend war jedoch, dass die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aufgegebenen Anbauflächen in Kasachstan überwiegend erst nach dem Höhepunkt der „Neulandkampagne”, zwischen 1962 und 1990 von Steppe in Ackerland umgewandelt worden waren.“ Dies waren vorwiegend Gebiete mit geringerer ackerbaulicher Eignung im Vergleich zu Flächen, die bis zum Höhepunkt der „Neulandkampagne“ von 1954 bis 1961 kultiviert wurden oder auch gegenüber von 1990 bis 2000 weiterhin als Ackerland genutzten Flächen. Nach 2000 kam es zu wirtschaftlichen Anpassungsprozessen und Steigerungen der Getreidepreise, vor allem für Weizen, sodass einige stillgelegte Ackerflächen in Gebieten mit besseren agrarökologischen Bedingungen rekultiviert wurden.“ Krämer fügte hinzu: „Das im Jahr 2010 übrige stillgelegte Ackerland verfügte nur über eine sehr geringe Eignung für eine Nutzung als Ackerland, vor allem im Hinblick auf Bodenqualität und Wasserhaushalt.“
Zusammenfassend kann man sagen, dass eine weitere Ausdehnung von Getreideflächen nur auf marginalen Flächen stattfinden kann. Wenn wir unsere Ergebnisse auf das gesamte Kasachstan übertragen, kommt von den 14 Mha derzeit nicht bewirtschafteter, ehemaliger Getreideflächen nur ein Drittel für eine Rekultivierung in Frage, wenn auch mit erheblichen natur-räumlichen Einschränkungen wie z. B. durch die grenzwertigen klimatischen Bedingungen, die in den zentral-asiatischen Steppengebieten vorherrschen. „Daher sollte der Schwerpunkt eher auf einer Verbesserung der Ernteerträge auf den derzeitig genutzten Flächen liegen, und die verbleibenden stillgelegten Ackerflächen dem Erhalt des Steppenökosystems und der traditionellen extensiven Beweidung vorbehalten bleiben. Dies steht im Einklang mit dem niedrigen Potenzial durch Rekultivierung ehemaliger Ackerflächen in Russland.
Quelle: IDW
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